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Beim ersten Mal war alles ganz sicher anders.

Beim ersten Mal war alles ganz sicher anders.

22. Juli 2023

Dieser Satz könnte über fast allem stehen. Und er muss gar nicht stimmen. Verdrängt oder vergessen – unwichtig. Tatsache ist, dass mich das Lektorat gerade sehr fordert.

Es geht um den dritten Roman, den mit dem längsten Manuskript. Unter anderem muss gestrafft werden. Dabei habe ich das schon vor Jahren getan. Ursprünglich waren es knapp achthundert Seiten, davon habe ich etwa dreihundert gestrichen. Gestrichen ist nicht gleichbedeutend mit gestrafft, aber immerhin. Einschließlich der sehr umfangreichen Nachforschungen und Reisen von einem Archiv zum nächsten hat das gedruckte Buch bereits elf Jahre auf dem Buckel, wenn es im Herbst erscheint. Was selbstverständlich nicht auf dem Buchrücken stehen wird.

So viel Recherche verleitet dazu, dann auch ALLES verwenden zu wollen. „Kill your darlings“ gilt nicht nur für Adjektive.

Das sagt sich leicht, ist aber schwer getan. Ich habe mich jahrelang durch eingestaubte Akten gewühlt, mir stundenlanges Sitzen vor Microfiches-Lesegeräten angetan, samt des körperlichen Unwohlseins wegen der Inhalte – das will doch verarbeitet werden!

Will schon, muss eben nicht. Mir tut es leid um all das nicht verwendete Material. Mir ist aber auch klar, dass man Leser mit Informationen erschlagen kann. Und gestorben wird im Roman eh schon zu viel.

Dazu die Crux mit den Zeitformen. Bei einer Figur, die sich dauernd erinnert, eine sehr wichtige Sache. Die mich dann und wann zur Verzweiflung bringt. Mir ist schließlich alles klar. Wer wann wo was tut und auch warum. Oder weshalb.

Das Hocken am Rechner ist das Schlimmste. Schreiben kann ich auch im Kopf – beim Spazieren, Wandern, Schwimmen – überarbeiten nur sitzend. Nach viel zu kurzer Zeit ist mein Kopf zudem wie leergefegt. Die simpelsten Wörter fallen mir nicht mehr ein. Ich klicke auf „Synonyme“ und ahne bereits, dass das gesuchte Wort dort nicht zu finden sein wird.

Um mich herum liegen einige der Materialien ausgebreitet, zur Sicherheit. Benötige ich einen Begriff, ein Datum, kann ich so schnell nachschlagen. Denkste. Das, was ich dringend brauche zum Abgleich des Textes, steckt in einem der anderen Ordner, Sammelmappen oder Kisten und garantiert nicht in dem Stapel, den ich bereit gelegt habe.

An manchen Tagen habe ich das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Es gibt glücklicherweise auch die anderen. Die, an denen ich beinahe euphorisch den Text durchforste und mit sicherem Blick nicht nur Wortwiederholungen, sondern auch Unstimmigkeiten entdecke.

Für gute und schlechte Tage ist ein Lektorat von großer Bedeutung. Jemanden zu haben, der nicht nur als Fremder den Text liest, sondern das Manuskript sehr genau unter seine Lupe nimmt. Selbst ist man immer betriebsblind. Dagegen kann man wenig tun.

Das Manuskript lag zwischendurch immer mal wieder in der Schublade. Es hatte Zeit zu reifen und ich denke, das hat ihm gut getan. Ich lese ein Kapitel und stelle fest, dass es viel besser ist als ich es in Erinnerung habe. Da steht mittendrin eine neue Szene, eine bildhafte Erläuterung, die ich erst vor drei Jahren hineingeschrieben habe. Wunderbar. Diese Momente der Freude helfen mir. Sie ermuntern mich. Ich kann nicht sagen, die wievielte Überarbeitung es nun ist, aber es ist die letzte. Dann werden andere den Text in der Halt halten und er muss perfekt sein. So perfekt, wie ich es gerade kann. Ich bin dabei nicht allein. Für mich ist das Lektorat ein Lernprozess. Mag sein, dass ich dieses oder jenes schon einmal wusste, schon korrekt anwenden konnte. Eine Frage, eine Anmerkung, ein Gespräch helfen mir auf die Sprünge – mir und dem Text.

Das ist gar nicht anders gewesen beim ersten Mal. Und ändert sich vermutlich nie.

Jedes in die Hand nehmen

Jedes in die Hand nehmen

16. Juni 2023

Ein Umzug ist für Bücherfeunde besonders anstrengend. Es gibt aber auch eine sehr schöne Seite: man (oder ich jedenfalls) nimmt jedes Buch einmal in die Hand. Blättert drin, liest sich fest oder fragt sich, weshalb in aller Welt gerade dieses Buch noch da ist. Ich habe mir die Kinderbücher vorgenommen. Kopfschüttelnd immer wieder eins zur Seite gelegt. Bei den modernen finde ich kaum etwas, das mich begeistert – aber alle aus meiner Kindheit sind wahrlich nicht zu gebrauchen. Das liegt nicht an der veränderten Zeit, sondern daran, dass mir die Geschichten nicht gefallen. Die von damals und die heutigen. Ich lese sie kritisch und möchte sie lektorieren. Oder komplett umschreiben. Ich mag sie nicht einmal in die Wühlkiste der Bibliothek legen, weil ich sie keinem Kind zumuten möchte. Bücher wirft man nicht weg! Doch. Was sollte ich sonst damit tun? Es bleiben so schon viel zu viele Bücher, die ich nie wieder lesen werde. Auch dann nicht, wenn mir fünfzig zusätzliche Jahre geschenkt werden würden.

Weil ich nicht jedes Buch, das ich nun zur Hand nehme, komplett lesen kann, halte ich es wie in den Buchläden oder Bibliotheken bei fremden: ich lese den ersten Absatz und schlage das Buch mittendrin für einen weiteren Absatz (oder auch zwei) auf. Gefällt es mir, kommt es auf den Stapel: sollte ich lesen. Gefällt es mir gar nicht, wird es aussortiert. Bei Büchern für Erwachsene scheue ich mich nicht, diese in die Kramkiste zu tun. Geschmäcker sind nun mal verschieden und Ansprüche auch.

Ich habe nun weniger Stellfläche für Bücher und schwitze beim Einsortieren. Letztlich kommen jeweils zwei hintereinander, bei schmalen Büchern funktioniert das. Es gefällt mir nicht, weil ich die hintere Reihe nicht einsehen kann und vermutlich schon nach einer Woche nicht mehr weiß, welche Werke ich dorthin gestellt habe. Eine andere Möglichkeit sehe ich gerade nicht, denn die Bücher in den Umzugskisten zu belassen, ist keine Lösung. Außerdem sehe ich sie dort auch nicht. Beim Einräumen allerdings fallen mir dann doch wieder Bücher in die Hände, bei denen ich nicht weiß, weshalb ich sie aufheben sollte. Das ist schon mal ein Anfang. Ich werde also Ausschau halten nach umfunktionierten Telefonzellen und Kramkisten in Bibliotheken. Weggeworfen wird nur im Notfall. Bei den meisten Büchern, die ich nicht mehr mag, ist es zum Glück keiner.

Im Wandel der Zeiten

Im Wandel der Zeiten

13. Juni 2023

Ich erinnere mich noch gut an meine erste Altraumwohnung. Die Räume waren hoch, mein Buchbestand erheblich und ich kaufte alles, was es vor 1990 nicht gegeben hatte. In Buchläden und Antiquariaten. Ich blätterte Kataloge durch mit Bücherregalen, die voreinander geschoben werden konnten, für die es die Leitern gleich dazu gab. Mein Vorhaben, ganze Wände mit diesen Regalen zu füllen, scheiterte am Geld. Die Bücher stapelten sich auf den Leiterregalen, die obersten Reihen staubten ein. Die Tage waren nicht nur gefüllt mit anderen Dingen, ich wusste auch nicht, ob ich die gesammelten Bücher noch einmal lesen würde. Ob ich das wollte, ganz abgesehen vom Zeitfaktor.

Einige werden für immer bleiben, auch, wenn sie längst aus der Mode gekommen sind, es hängen Erinnerungen daran. Andere fanden ihren Weg zu Verkaufsportalen und Verkaufstischen und Antiquariaten, der Erfolg war eher spärlich. Doch nach den Jahren des Sammelns, des Wunsches, mich am liebsten ringsherum mit Bücherwänden zu umgeben, hat eine neue Sehnsucht Einzug gehalten. Die nach Raum. Nach Weite. Auch in kleinen Zimmern. Ich hatte diese Freiheit der Gedanken zum ersten Mal während eines dreimonatigen Stipendiums im Röderhof (Sachsen-Anhalt) gespürt. Die Räume waren riesig und die Wände kahl. Ideen lernten fliegen. Auch in der Mühle in Wolfenbüttel gibt es außer den Balken im Zimmer keine Ablenkung. Es gefiel mir. Nur: wie das zu Hause ändern? Es sind ja nicht nur die Bücherregale, auch etliche großformatige Bilder, Fotos, andere Erinnerungen, die die Wände füllen. Wieder begab ich mich auf die Suche nach Abnehmern. In Bibliotheken und neuerdings Bücherkisten und umfunktionierten Telefonzellen. Ich füllte Koffer und Kisten und verschenkte. Noch immer ist der Bestand groß. Zu den Erinnerungen, die mit Büchern verbunden sind, kommen Werke, die nicht mehr verlegt werden, ganze Reihen von Lieblingsautorinnen, neue Veröffentlichungen von befreundeten Autorinnen, neue Bücher für mich und neue Kinderbücher.

Eine Freundin sagte einmal, sie würde nur dann ein neues Buch kaufen, wenn ein anderes dafür verschenkt oder anderswie verschwinden würde. Ich müsste das – um meinem Ziel nach Weite näher zu kommen – auf 1:10 ausweiten – das schafft kein Mensch. Die Bibliotheken haben volle Wühlkisten, die Telefonzellen platzen aus allen Nähten, so praktische Bücherbänke wie bei meinen Wanderungen in Südtirol sind mir zu Hause noch nicht begegnet. Es bleiben also kleine Schritte. Bis ich wieder einmal – wie vor Jahren – Pflanzen zwischen den Büchern anordnen kann, ist es noch ein weiter Weg. Ich kaufe seltener Bücher. Das ist nicht gut für uns alle, denn meine Bücher sollen schließlich auch gekauft werden. Wichtiger ist mir aber, dass sie gelesen werden – und so halte ich es mit den anderen Autorinnen auch. Glücklicherweise gibt es Bibliotheken. Dort dürfen die Bücher nicht nur bis an die Decke gestapelt werden – ich fühle mich zwischen den Regalen auch wohl. Zu Hause genieße ich die kahle Wand – auch, wenn es gerade nur eine ist.

LBM 2023

LBM 2023

27. April 2023

Es ist hell morgens, dafür kalt wie Mitte März, dem jahrzehntelang üblichen Zeitrahmen der Leipziger Buchmesse. Einzig die blühenden Obstbäume, die kilometerlang Straßen und Fahrwege säumen, weisen auf das aktuelle Datum. Es ist Ende April und am Wochenende wird es wieder warm.

Die Natur explodiert, wie in jedem Frühjahr, von einem zum anderen nehme ich es bewusster wahr, liegt wohl am Älterwerden.

Am frühen Morgen im Zug zu sitzen ist ungewohnt, zwischen all den jungen Leuten, die zur Arbeit fahren und schwatzen oder ein Nickerchen halten. Ich bin hundemüde, aber zum Einnicken viel zu aufgeregt.

In den ersten Jahren meines Schriftstellerdaseins bin ich in jedem März nach Leipzig gefahren. Mit einem Rucksack voller Manuskriptauszüge, Visitenkarten, Beutel für Gratiszeitungen. Die Beutel füllte ich, meine Texte wurde ich nicht los.

Heute weist jeder Blogger darauf hin, dass man ohne Termin nicht bei Verlagen vorstellig werden soll und kann. An den meisten Ständen sind die Lektoren eh nicht vor Ort oder lassen sich verleugnen. Schutzmechanismus, auch vor Jahren war ich nicht die einzige mit kiloschwerem Text-Gepäck.

Es gab dann Messen, zu denen ich gefahren bin, weil ich etliche Termine vorab vereinbaren konnte und mich mit Kolleginnen verabredete, Dozenten oder berühmte Autoren traf. Einige Male kamen eigene Lesungen dazu, auf dem Messegelände oder in der Stadt.

Ungefragt klapperte ich nur noch die Stände der Schulbuchverlage ab, um für Flüchtlingskinder Material zu erbetteln. Diese Bittstellerei übte ich souverän und erfolgreich aus, ich tat es für andere, das war der Unterschied.

Die Möglichkeit, auf dem Messegelände in einer Stunde zehn Lesungen zu besuchen, minutenlang zuzuhören, weiterzugehen, immer in dichtem Getümmel, immer in Bewegung, nehme ich nicht mehr wahr. Es ist eine gute Idee, wie beim Lesen auch, nach Minuten entscheiden zu können, ob mir Geschichte, Sprache, hier sogar: Vortragsweise gefallen. Ich kann mich – ohne Aufsehen zu erregen – wieder entfernen. Die zahlreichen Lesungen in all den Hallen auf dem Messegelände verleiten dazu, überall sein zu wollen, etwas aufzuschnappen, schnell ein Urteil zu bilden und weiterzuziehen. Das entspricht dem Twitter-Instagram-Zeitgeist heute noch viel mehr als vor Jahren. Mich erschöpft das. Nach einer Stunde habe ich so viele Geschichten, Schreibstile und Figuren im Kopf, als hätte ich zwanzig Trailer hintereinanderweg gesehen – und so ist es schließlich auch. Nur, dass ich dabei nicht auf dem Fernsehsessel entspanne und mittels Fernbedienung in der Hand jederzeit ausschalten könnte, sondern in den immer zu warmen gläsernen Hallen auch noch von viel zu vielen anderen Gästen eingeengt werde. Mich bedrängt fühle. Diesen körperlichen Kontakt mochte ich auf der Messe noch nie, inzwischen ist eine Grundangst hinzugekommen, die bleiben wird.

Meine Leipziger Freundin wird später davon schwärmen, wie entspannt es an diesem Donnerstag zwischen den vielen Ständen zuging – und ich werde sie erstaunt angucken und sagen: Mir ist es schon viel zu voll.

Noch sitze ich im Zug, dem dritten, das erste Umsteigen war ein Sprint, Treppen runter, Treppen hoch, Tür öffnen und erst dann zu schnaufen beginnen. Vor einem Zug zu stehen (heute) und den Türknopf zwar bedienen zu können, aber ohne Wirkung, und dann zuschauen zu müssen, wie die Waggons sich an mir vorbei bewegen, hilflos (heute), ist seit dem Erlebnis vor einem Jahr eine Horrorvision für mich. Früher – das im Gegensatz zum „heute“ – konnte man aufspringen, die Tür öffnen, sich setzen. Als Jugendliche jedenfalls, fraglich, bis zu welchem Alter das möglich gewesen wäre, gäbe es heute noch diese Züge – aber das ist ja das Schöne an Erinnerungen, sie zeigen einen so mobil, wie man einmal war.

Keine Wiederholung also und das zweite Umsteigen echt entspannt. Zielbahnhof Leipzig Messe. Die Straßenbahnen stehen noch, es ist kurz nach neun und ziemlich frisch.

Ich bin froh über meinen Presseausweis, mit dem ich nicht nur kostenfrei hinein darf, sondern auch eine halbe Stunde früher als die anderen Besucher.

Es kann losgehen.

Ich habe nur zwei Termine und ein paar geplante Recherchen zu Literaturzeitschriften, schließlich wollen wir als Verband selbst eine herausgeben. So viele Beutel wie früher benötige ich nicht, die Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchproduzenten sind längst nicht mehr so freigiebig.

Der erste Termin ist ein Gespräch mit der Verlegerin zu meinem dritten Roman, der demnächst erscheinen soll. Ein kleiner Verlag am anderen Ende des Landes, so erscheint es mir manchmal, aber über die Jahre haben wir uns etwas kennengelernt und wissen, dass wir reden können. Eine gute Grundlage.

Anschließen sollen Gespräche in unserer geliebten Oase auf dem Messegelände stattfinden, im Café Wien. Der zweite Termin verläuft jedoch nicht so erfolgreich wie der erste: das Café Wien gibt es in diesem Jahr nicht. Dabei ist Österreich doch Gastland der Leipziger Buchmesse 2023 und mit so vielen Ständen dort vertreten, dass ich auch etliche Fragen zu Literaturzeitschriften losgeworden bin.

Das Café Europa hat geöffnet, in Ordnung, dann schwatzen wir eben dort. Und treffen andere und sehen andere und drängeln uns durch die Gänge, bis es zu dem kleinen Dialog kommt zwischen meiner Freundin und mir und ich froh bin, dass ich zum Zug gehen muss.

Draußen hat die Sonne ganze Arbeit geleistet. Es ist warm wie in den Messehallen, aber die Wege sind leer, die Luft ist klar und ich freue mich, hier gewesen zu sein. Bis zum nächsten Jahr! Dann wieder Mitte März und vielleicht mit eigenen Lesungen.

Unter Schriftstellerinnen

Unter Schriftstellerinnen

23. März 2023

Das verlängerte Weiterbildungswochenende hat Tradition, länger, als ich sie bisher nutzen konnte und durfte. Jeweils in der Vorwoche der Leipziger Buchmesse. Früher jedenfalls, die letzten Jahre haben das ein wenig durcheinander gewürfelt. Im kommenden Jahr wird es hoffentlich wieder so sein, in diesem liegen zwischen der Weiterbildung des Verbandes und der LBM fast sechs Wochen.

Es gibt jeweils ein Thema, dem sich die Vorträge, Workshops und Lesungen widmen, in diesem Jahr war es die Oder. Passend zum Thema der Literaturzeitschrift, die gerade geplant wird. Schon zuvor fühlten wir uns recht sicher, ausreichend Texte für eine erste Ausgabe akquirieren zu können – nach diesem Wochenende fürchten wir, dass die Zeitung aus allen Nähten platzen wird. Da sind die gelungenen Texte aus der Werkstatt, der besondere Vortrag einer polnischen Germanistikprofessorin, ihre eigene Geschichte. Hinzu kommen zwei engagierte Autorinnen und Interviewer, die pointierte Geschichten sammeln und veröffentlichen. Ich hatte mich auf den Austausch, auf das Wiedersehen sehr gefreut, meistens sitzt man und frau ja doch allein zu Hause. Das Ergebnis dessen, was geboten wurde und was mich tief beeindruckte, ahnte ich keineswegs. Umso erfüllter fuhr ich zurück. Im Gepäck nicht nur interessante Gespräche mit Kolleginnen, sondern viele neue Begegnungen und eine Fülle an Ideen. Die Nächte waren zu kurz, nicht wegen der kurzen Abstecher in die kleine Kneipe am Abend, sondern, weil mein Kopf Mühe hatte, alles zu verarbeiten. Schon vor um vier Uhr früh sangen die Amseln, ein Morgenspaziergang am See erfrischte auch ohne dazugehöriges Bad, die Kaffeemaschine oder doch eher die ausgewählten Getränke bildeten das Sahnehäubchen. Ein rundum gut organisiertes und erfolgreiches Wochenende wird nachwirken und den Alltag farbenfroh gestalten, wie es die riesige Fläche mit blühenden Krokussen vor dem kleinen Haus auf dem Hinweg prophezeite.

Elster an der Mühle

Elster an der Mühle

02. März 2023

Vorweg: ich habe an diesem Präsenz-Wochenende Enten, Gänse, Reiher, Amseln, Spatzen und einen Eichelhäher sehen können, aber keine Elster.

Vermutlich war ich mit meinen Gedanken zu tief im Text. Das jedenfalls war nach langer Zeit des einsamen Schreibens zu Hause wieder eine viel Adrenalin produzierende Erfahrung, die mich noch Tage später trägt. Die Füße auf feuchten Wegen am Deich entlang, den Kopf in der Geschichte, überwiegend, denn die laute Musik der Karnevalisten schob sich mit dem Wind von hinten an mich heran. Blies zurück von vorn, die Sonne wagte sich nur für Augenblicke aus der Deckung aus grauen Wolken, zauberte Spiegelbilder und wärmte Mitte Februar wie im März. Schreiben, laufen, schreiben, reden. Wieder laufen oder schreiben, dazwischen ein Vier-Sterne-Menü, Kaminfeuer und Stöbern in der besonderen Bibliothek. Schade, dafür reichte die Zeit bei Weitem nicht. Ein Grund mehr, wieder zu kommen. Die Möglichkeiten erscheinen mir endlos. Der Hof mit all seinen Nischen, zwischen Zwerghühnern und Kaninchen, fernab des Ortslärms. Oder draußen im Café zu sitzen, zwischen denjenigen, die tatsächlich nur einen Ausflug machen. Oder sich einen Schreibplatz zu suchen, der aus dicken Stämmen und selbst gezimmerten Tischplatten besteht. Oder sich am Ufer unter einer Weide zu verstecken. Den Laptop am Rastplatz beim Angelteich zu nutzen oder sich gleich auf die Holzbrücke zu setzen. Um doch noch eine Elster zu entdecken und vielleicht sogar den Eisvogel zu sehen.

„dranbleiben“

„dranbleiben“
15. Februar 2023

Ein wunderbares Motto, um an einem längeren Text zu arbeiten.

Seit Jahresbeginn bin ich wieder in einer Gruppe, drei Frauen, die im dreiwöchigen Abstand ihre Texte diskutieren und zwischendurch fleißig schreiben. Am Wochenende steht das Präsenz-Seminar an, drei Tage in einer rekonstruierten Mühle, ich bin gespannt. Vor allem freue ich mich auf die Auszeit und den Austausch. Schreiben ist doch ein sehr einsames Geschäft. Gerade, wenn man ein neues Projekt beginnt und noch nicht so genau weiß, wohin die Reise gehen soll, ist der Dialog mit Gleichgesinnten eine große Hilfe. Für mich, denn ich zähle eher zu den „Bauchschreiberinnen“. Ich bewundere und beneide Kolleginnen, die vorab Kapitel festzurren und Dramaturgie-Kurven aufzeichnen können. Ich denke dann, sie haben es leichter, das stimmt oft, aber auch nicht in jedem Fall. Ich habe einige Male probiert, mir eine Zeitschiene zu basteln, Überschriften formuliert, die das beinhalten (oder vorgeben), was im nachstehenden Kapitel passieren soll. Es hat auch schon geklappt, aber meistens schreibe ich einfach so weiter. Ob das gut oder schlecht ist, kann mich dabei gar nicht interessieren, weil das Festhalten an Vorgegebenem für mich wie eine Schranke ist. Ich stehe davor und kann sie nicht öffnen. Nur einen Umweg machen, quer über die Schienen gar, das ist nicht nur im realen Leben eine gewagte Sache.

Also keine detaillierte Planung, nur Skizzen, Stichworte, der große Bogen, an denen ich mich entlanghangele. Bevor man nicht achtzig oder gar einhundert Seiten geschrieben hat, so wurde es mir schon gesagt, wisse man nicht, ob überhaupt ein Roman daraus werden könne. Habe ich auch schon selbst erfahren. Eine Achtzig-Seiten-Geschichte verfasst, die nicht endete, sondern einfach aufhörte. Monate und Jahre in der Schublade schmorte, bevor eine Zehn-Seiten-Kurzgeschichte daraus wurde, die veröffentlicht worden ist. Immerhin.

„dranbleiben“ bedeutet vor allem dies: dranzubleiben, weiterzuschreiben, und aus den Anregungen der anderen Mut zu ziehen, um den Text weiter zu verfolgen. Das reizt mich an dieser Weiterbildung am meisten. Ob das irgendwann publiziert werden wird, steht in den Sternen oder nicht einmal dort, die Freude am Formulieren, am morgendlichen Tippen, am Sammeln von Ideen steht im Vordergrund. Alles andere kommt später.

Romanwerkstatt 2023

Romanwerkstatt 2023

25. Januar 2023

Die Romanwerkstatt hat begonnen. Jeden Tag sitze ich am frühen Morgen und schreibe. Ein wunderbares Gefühl! Und ergiebiger als zu anderen Tageszeiten. Später prasseln die Emails, die Anrufe, der ganz normale Alltag in die Stunden und ich bin zufrieden, schon etwas zu Papier gebracht zu haben.

Die Milchmädchenrechnung schießt immer wieder in meinen Kopf, dabei ist es eben nur ein sehr naiver Überschlag: bei einer Seite täglich habe ich in 365 Tagen ein Buch geschrieben. Klingt zu schön, um wahr zu sein, ist auch vollkommen unrealistisch. Nicht die eine Seite, die überbiete ich gern und oft, aber das Aufschreiben ist nur ein Teil der Arbeit. Der schönste, das auf jeden Fall. Zu überarbeiten ist anstrengender, als die Worte fließen zu lassen. Ich bin gefordert, Strukturen zu entwickeln und vor allem nachher auch einzuhalten, einen Spannungsbogen ernst zu nehmen. All die überflüssigen Füllwörter zu tilgen, wird der Abschluss werden. Aber noch bin ich ganz am Anfang. Der Text wächst, ich weiß noch nicht ganz genau, wohin die Reise gehen wird. Das mag ich, das hilft mir, engt meine Gedanken nicht ein.

Wenn ich am späteren Tag laufe, denke ich über das Geschriebene nach, formuliere neue Sätze, die ich mir nicht merken werde, aber das ist unwichtig. Das Gefühl, dass es weitergehen kann, beflügelt mich. Dass ich erfahrene und wohlgesinnte Autorinnen an meiner Seite weiß, bestärkt mich darin, zu experimentieren, dass ich ihnen etwas zurückgebe, weil ich mich auf ihre Texte einlasse, rundet die Romanwerkstatt für mich ab.

Es wird in den nächsten 340 Tagen nicht so weitergehen, leider, denke ich, aber das Leben schreibt eigene Gesetze. Es bleibt ein guter Start. Und was ich daraus machen werde, ist meine Entscheidung.

Weihnachten

Weihnachten

7. Dezember 2022

Im Dezember habe ich noch nie viel geschrieben. Für diesen Monat nehme ich auch kein Stipendium an – bzw. bewerbe ich mich nicht. Die Weihnachtswochen gehören der Familie – und dem Plätzchen backen.

Das war in diesem Jahr eine besondere Herausforderung. Bis zum letzten Dezember hatte ich es mir vergleichsweise leicht gemacht und fertigen Plätzchenteig beim Bäcker gekauft. Zu Hause hieß es dann nur noch: ausrollen, ausstechen, backen, verzieren. Einpacken, verschicken, oder selbst essen.

Im letzten November, als an die Preissteigerungen dieses Jahres noch nicht zu denken gewesen war, gab es gleich zwei. Innerhalb von zehn Tagen. Ich wollte ein Kilogramm nachkaufen und stand sprachlos vor der Verkäuferin. Mein Entschluss war gefasst: dort kaufe ich zukünftig nicht mehr ein. Inzwischen kostet der Teig vermutlich das Doppelte, ich habe nicht nachgefragt. Die Filiale ist geschlossen worden (nicht wegen mir), aber das Haus steht noch, und jedes Mal, wenn ich daran vorbeilaufe, denke ich an den Teig. Daran, wie viele Jahre (Jahrzehnte!) ich dem Bäcker die Treue gehalten habe, daran, wie ungerecht behandelt ich mich nun fühle. Vom Preisanstieg und von der Schließung.

Das Internet musste durchforstet werden, alte Backbücher wurden gewälzt, Zutaten gekauft (auch das eine Herausforderung). Ich sammelte Rezepte und probierte. Manchmal ließ sich der Teig nicht ausstechen, sondern nur mit einem Spatel auf dem Blech verteilen, manchmal gingen die Herzen so sehr auf, dass ich beim Zugucken schon ahnte, wie trocken sie nachher werden würden, manchmal musste ich Natron und Hirschhornsalz in separaten Schälchen auflösen und stand vor vier oder fünf Schüsseln, nur für eine Sorte Lebkuchen. Glücklicherweise gibt es viele Menschen, die selbstgebackene Plätzchen zu schätzen wissen und den Geschmack loben, wahrscheinlich einfach, weil es selbstgebackene Plätzchen sind. Neben einem Vierzig-Stunden-Brotjob könnte ich das auch nicht schaffen, die Selbständigkeit hat eben gute Seiten.

Inzwischen haben sich einige Rezepte herauskristallisiert, die mir zusagen (und nur das lasse ich gelten), andere landeten im Papierkorb. Schade um Blätter und Druckertinte.

Die Vorarbeit ist geleistet. Im nächsten Jahr wird es einfacher werden. Schmackhafter hoffentlich auch.

Und ganz nebenbei habe ich sogar noch einen kleinen Text fabriziert. Frohe Weihnachten!

Inspiration

Inspiration
25. November 2022

Der Alltag bremste mich aus, wie eben meistens, wenn ich zu Hause war. Ich hatte Lust zu schreiben, hunderte von Ideen im Kopf, etliches notiert, ich konsumierte Bücher wie andere Kaffee oder Rotwein. Ich wollte schreiben, ich nahm mir die Zeit dafür, aber ich konnte mich nicht entscheiden, an welchen Text ich mich setzen sollte.

Ein neues Projekt soll vom kommenden Januar an in der Romanwerkstatt behandelt werden. Ich könnte bis dahin viel Text produzieren, aber ich möchte es hinausschieben bis zum ersten Gruppentreffen, das Konzept ist noch vage und ich freue mich auf die Anregungen der anderen. Zu einem schon lange auf Überarbeitung wartenden empfinde ich noch immer zu wenig Abstand, außerdem verlangt das Manuskript eine intensive Beschäftigung über mindestens zwei oder drei Wochen, und so viel Zeit bleibt dann doch nicht.

Also blätterte ich online durch die aktuellen Ausschreibungen.

Vor Jahren habe ich mich regelmäßig um Wettbewerbe gekümmert, schrieb dafür oder schrieb Vorhandenes um – ich brauchte Veröffentlichungen für meine Vita, für Bewerbungen, Verlage. Ich erreichte selten das Finale, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass mir Kurzgeschichten nicht so liegen. Ich fürchte jedes Mal, die Figuren, für die ich keine langen Geschichten erfinden kann, würden hölzern, oder ich würde abschweifen, weil ich das gern tue. Und in längeren Texten auch darf.

Dieses Mal – vielleicht sogar, weil ich diesen Blog begonnen habe und mich seit einiger Zeit darauf konzentriere, kurze Texte zu verfassen – sprachen mich gleich mehrere Ausschreibungen an. Dazu war meine Erwartungshaltung eine vollkommen neue. Ich erwartete gar nichts. Von den Juroren. Von mir schon: Freude am Formulieren.

Preise würde ich selbstverständlich trotzdem gern annehmen. Aber ohne diesen Druck zu schreiben, etwas für die Vita zu produzieren, befreite mich. Die Ideen sprudelten, die Sätze flossen, ich kam mit dem Tippen kaum hinterher.

Das werde ich demnächst öfter probieren. Zumal ich aus Erfahrung weiß, dass mit dem Abschluss einer Kurzgeschichte das Nachdenken über die Figuren, die Orte und das Erlebte erst beginnt. Und einfließen kann in längere Texte.