• Romanwerkstatt 2023

    25. Januar 2023

    Die Romanwerkstatt hat begonnen. Jeden Tag sitze ich am frühen Morgen und schreibe. Ein wunderbares Gefühl! Und ergiebiger als zu anderen Tageszeiten. Später prasseln die Emails, die Anrufe, der ganz normale Alltag in die Stunden und ich bin zufrieden, schon etwas zu Papier gebracht zu haben.

    Die Milchmädchenrechnung schießt immer wieder in meinen Kopf, dabei ist es eben nur ein sehr naiver Überschlag: bei einer Seite täglich habe ich in 365 Tagen ein Buch geschrieben. Klingt zu schön, um wahr zu sein, ist auch vollkommen unrealistisch. Nicht die eine Seite, die überbiete ich gern und oft, aber das Aufschreiben ist nur ein Teil der Arbeit. Der schönste, das auf jeden Fall. Zu überarbeiten ist anstrengender, als die Worte fließen zu lassen. Ich bin gefordert, Strukturen zu entwickeln und vor allem nachher auch einzuhalten, einen Spannungsbogen ernst zu nehmen. All die überflüssigen Füllwörter zu tilgen, wird der Abschluss werden. Aber noch bin ich ganz am Anfang. Der Text wächst, ich weiß noch nicht ganz genau, wohin die Reise gehen wird. Das mag ich, das hilft mir, engt meine Gedanken nicht ein.

    Wenn ich am späteren Tag laufe, denke ich über das Geschriebene nach, formuliere neue Sätze, die ich mir nicht merken werde, aber das ist unwichtig. Das Gefühl, dass es weitergehen kann, beflügelt mich. Dass ich erfahrene und wohlgesinnte Autorinnen an meiner Seite weiß, bestärkt mich darin, zu experimentieren, dass ich ihnen etwas zurückgebe, weil ich mich auf ihre Texte einlasse, rundet die Romanwerkstatt für mich ab.

    Es wird in den nächsten 340 Tagen nicht so weitergehen, leider, denke ich, aber das Leben schreibt eigene Gesetze. Es bleibt ein guter Start. Und was ich daraus machen werde, ist meine Entscheidung.

  • Weihnachten

    7. Dezember 2022

    Im Dezember habe ich noch nie viel geschrieben. Für diesen Monat nehme ich auch kein Stipendium an – bzw. bewerbe ich mich nicht. Die Weihnachtswochen gehören der Familie – und dem Plätzchen backen.

    Das war in diesem Jahr eine besondere Herausforderung. Bis zum letzten Dezember hatte ich es mir vergleichsweise leicht gemacht und fertigen Plätzchenteig beim Bäcker gekauft. Zu Hause hieß es dann nur noch: ausrollen, ausstechen, backen, verzieren. Einpacken, verschicken, oder selbst essen.

    Im letzten November, als an die Preissteigerungen dieses Jahres noch nicht zu denken gewesen war, gab es gleich zwei. Innerhalb von zehn Tagen. Ich wollte ein Kilogramm nachkaufen und stand sprachlos vor der Verkäuferin. Mein Entschluss war gefasst: dort kaufe ich zukünftig nicht mehr ein. Inzwischen kostet der Teig vermutlich das Doppelte, ich habe nicht nachgefragt. Die Filiale ist geschlossen worden (nicht wegen mir), aber das Haus steht noch, und jedes Mal, wenn ich daran vorbeilaufe, denke ich an den Teig. Daran, wie viele Jahre (Jahrzehnte!) ich dem Bäcker die Treue gehalten habe, daran, wie ungerecht behandelt ich mich nun fühle. Vom Preisanstieg und von der Schließung.

    Das Internet musste durchforstet werden, alte Backbücher wurden gewälzt, Zutaten gekauft (auch das eine Herausforderung). Ich sammelte Rezepte und probierte. Manchmal ließ sich der Teig nicht ausstechen, sondern nur mit einem Spatel auf dem Blech verteilen, manchmal gingen die Herzen so sehr auf, dass ich beim Zugucken schon ahnte, wie trocken sie nachher werden würden, manchmal musste ich Natron und Hirschhornsalz in separaten Schälchen auflösen und stand vor vier oder fünf Schüsseln, nur für eine Sorte Lebkuchen. Glücklicherweise gibt es viele Menschen, die selbstgebackene Plätzchen zu schätzen wissen und den Geschmack loben, wahrscheinlich einfach, weil es selbstgebackene Plätzchen sind. Neben einem Vierzig-Stunden-Brotjob könnte ich das auch nicht schaffen, die Selbständigkeit hat eben gute Seiten.

    Inzwischen haben sich einige Rezepte herauskristallisiert, die mir zusagen (und nur das lasse ich gelten), andere landeten im Papierkorb. Schade um Blätter und Druckertinte.

    Die Vorarbeit ist geleistet. Im nächsten Jahr wird es einfacher werden. Schmackhafter hoffentlich auch.

    Und ganz nebenbei habe ich sogar noch einen kleinen Text fabriziert. Frohe Weihnachten!

  • Inspiration
    25. November 2022

    Der Alltag bremste mich aus, wie eben meistens, wenn ich zu Hause war. Ich hatte Lust zu schreiben, hunderte von Ideen im Kopf, etliches notiert, ich konsumierte Bücher wie andere Kaffee oder Rotwein. Ich wollte schreiben, ich nahm mir die Zeit dafür, aber ich konnte mich nicht entscheiden, an welchen Text ich mich setzen sollte.

    Ein neues Projekt soll vom kommenden Januar an in der Romanwerkstatt behandelt werden. Ich könnte bis dahin viel Text produzieren, aber ich möchte es hinausschieben bis zum ersten Gruppentreffen, das Konzept ist noch vage und ich freue mich auf die Anregungen der anderen. Zu einem schon lange auf Überarbeitung wartenden empfinde ich noch immer zu wenig Abstand, außerdem verlangt das Manuskript eine intensive Beschäftigung über mindestens zwei oder drei Wochen, und so viel Zeit bleibt dann doch nicht.

    Also blätterte ich online durch die aktuellen Ausschreibungen.

    Vor Jahren habe ich mich regelmäßig um Wettbewerbe gekümmert, schrieb dafür oder schrieb Vorhandenes um – ich brauchte Veröffentlichungen für meine Vita, für Bewerbungen, Verlage. Ich erreichte selten das Finale, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass mir Kurzgeschichten nicht so liegen. Ich fürchte jedes Mal, die Figuren, für die ich keine langen Geschichten erfinden kann, würden hölzern, oder ich würde abschweifen, weil ich das gern tue. Und in längeren Texten auch darf.

    Dieses Mal – vielleicht sogar, weil ich diesen Blog begonnen habe und mich seit einiger Zeit darauf konzentriere, kurze Texte zu verfassen – sprachen mich gleich mehrere Ausschreibungen an. Dazu war meine Erwartungshaltung eine vollkommen neue. Ich erwartete gar nichts. Von den Juroren. Von mir schon: Freude am Formulieren.

    Preise würde ich selbstverständlich trotzdem gern annehmen. Aber ohne diesen Druck zu schreiben, etwas für die Vita zu produzieren, befreite mich. Die Ideen sprudelten, die Sätze flossen, ich kam mit dem Tippen kaum hinterher.

    Das werde ich demnächst öfter probieren. Zumal ich aus Erfahrung weiß, dass mit dem Abschluss einer Kurzgeschichte das Nachdenken über die Figuren, die Orte und das Erlebte erst beginnt. Und einfließen kann in längere Texte.

  • Schreiben zu Hause
    8. November 2022

    Mein großes Glück mit Stipendien in Künstlerhäusern schlug sich in intensiver Schreibarbeit während der Aufenthalte nieder – und darin, zu Hause nur selten soviel Text zu produzieren.

    Zuhause zu sein bedeutete Familie, Alltag. Ablenkungen und Unterbrechungen. Ob durch den Briefträger, der irgendwann mitbekommen hatte, das ich fast immer zu Hause war (bis mein Mann einen An-Aus-Schalter an das Haustelefon montierte), durch Bekannte, die mich anriefen oder penetrant agierende Werbe- und Umfragefirmen (bis ich entdeckte, dass ich auch das Festnetztelefon „stumm“ schalten konnte), durch die ganz normale Hausarbeit, die nie endet und zum Verschieben des Schreibens geradezu einlud. War ich unterwegs, schrieb ich permanent, ob nun im Kopf oder im Heft, auf dem Laptop, war ich zu Hause, kochte, buk oder putzte ich so lange, bis ich unzufrieden wurde. Manchmal dauerte es nur Tage, manchmal Wochen, aber der Drang, etwas Literarisches zu Papier zu bringen, kam. Darauf konnte ich mich verlassen.

    Das Zuhausebleiben-Müssen änderte das. Ich konnte oder wollte nicht verreisen, schrieb keine Bewerbungen, verkroch mich. Nach den ersten Wochen und sogar Monaten, in denen ich stundenlang auf steigende Kurven und Zahlen gestarrt hatte, unfähig, mich überhaupt auf den Alltag konzentrieren zu können, fuhr ich im Auto in eine Nachbarstadt. Wie wunderschön der Himmel war, die Wiesen, die Waldgrenzen, die Vögel und das blaue Flussband! Die Welt war noch da, schöner als in der Erinnerung. Schöner als erwartet. Ich begann mit kleinen Texten, die Kurven oder Zahlen nicht einmal streiften. Mir fehlten die wöchentlichen Begegnungen, das Schauen und Beobachten von Menschen, das unweigerlich in meine Texte eingeflossen war, jahrelang. Aber ich hatte mehr abgespeichert als vermutet. Ich war nun einmal zu Hause, daran würde sich so schnell nichts ändern, und ohne zu schreiben konnte ich auch nicht sein. Ich räumte meine Schreibtische auf und um und setzte mich zwischendurch mit dem Laptop auf das große Bett. Ich schrieb. Es gab Online-Seminare, ich sollte und wollte neuen Text produzieren, mein begonnenes Projekt fortsetzen. In jenem ersten Sommer schrieb ich mehr als je zuvor. Der Austausch beflügelte mich, und irgendwann glaubte ich tatsächlich daran, überall schreiben zu können. Nicht nur in der Bahn oder im Flugzeug oder in Künstlerhäusern, sondern auch am See, auf einer Bank und eben zu Hause. Es war eine wunderbare Erfahrung.

    Nun war ich von einem Aufenthalt zurückgekehrt und es begann wie immer. Ich räumte und buk und kochte und kämpfte gegen den Staub, der vier Wochen lang Zeit gehabt hatte, sich in allen Ritzen breitzumachen. Ich sortierte Fotos, kümmerte mich um Weihnachtsgeschenke, besuchte eine Lesung meiner Freundin. Und schon war sie wieder geweckt, die Freude am Schreiben. Zu Hause. Etwas anderes ist erst einmal nicht geplant und auch nicht in Sicht, es gibt sie immer noch, die Zahlen und Kurven. Sie ängstigen mich, aber sie blockieren mich nicht mehr. Während des langen Sommers in der Großstadt und der vier Wochen in Norditalien konnte ich schauen und beobachten und sammeln. Daraus kann ich jetzt schöpfen und ich freue mich darauf.

  • Schreibblockade
    8. November 2022

    Es ist das Damoklesschwert, das über uns hängt, über all jenen, die Worte zu Papier bringen wollen. Ich hatte bisher sehr großes Glück. Es gab nur einen Fall, der mich nicht nur lähmte, sondern zu zerschmettern drohte, und der geschah ausgerechnet in einem Weiterbildungsseminar, das mir helfen sollte. Ich war mit einem Textauszug angetreten zu meinem zweiten Romanprojekt, das schließlich als erstes veröffentlicht werden sollte, und die Dozenten waren sich einig: So geht das nicht. Das wird nichts.

    Ich hatte gespürt, dass etwas nicht stimmte im Text, konnte es jedoch nicht benennen. Deshalb war ich schließlich in die Werkstatt gefahren. Ich hatte auf konstruktive Kritik gehofft und ein paar Ratschläge, die mir weiterhelfen würden. Stattdessen gab es die niederschmetternde Aussage, gepaart mit dem Satz: Fang eine andere Geschichte an.

    Nein, wollte ich nicht. Ich wollte genau diese Geschichte erzählen.

    Ich fuhr sehr entmutigt zurück und ich gab mir wirklich alle Mühe, weiterzuschreiben. Es funktionierte nicht. Nicht ein Satz wollte mir gelingen, ich dachte und fürchtete, nie wieder etwas „Ordentliches“ zu Papier bringen zu können. Ich dachte ernsthaft darüber nach, das alles zu lassen, stattdessen Stricken zu lernen oder eine Fremdsprache.

    Die Gruppe der Teilnehmerinnen holte mich aus dem Loch. Wir waren nicht zufällig in diesem Kurs gewesen, aber die Zusammensetzung hatte ich schließlich nicht geplant, ich kannte nur zwei oder drei aus vorherigen Seminaren, eigentlich eher ihre Texte als sie selbst. Sie fragten mich in Emails: Wie kommst du klar, hast du weitergeschrieben, du kannst mir gern etwas schicken.

    Ich schickte meine Verzweiflung hinaus in die Welt. Und erhielt Mut zurück. Das war meine Rettung.

    Ich änderte die Perspektive, setzte irgendwo mitten im Manuskript an, verfasste die Szene neu und sandte sie herum. Der Knoten hatte sich gelöst, ich nahm die Anregungen und Hinweise an und schrieb weiter, bis der gesamte Text neu geschrieben war und tatsächlich irgendwann eine Lektorin so überzeugte, dass sie unbedingt ein Buch daraus machen wollte: mein Debut.

    Allein wäre ich verzweifelt und wer weiß, ob meine gestrickten Handschuhe jemanden so hätten erfreuen können, wie es mein erster Roman bis heute tut. Dankeschön.

  • Motivation
    19. Oktober 2022

    Mein Bedürfnis, Geschichten zu formulieren, erwachte erst spät. Ich schrieb zwar als Jugendliche wie viele in meinem Alter und in allen Generationen, aber erst, als ich andere teilhaben lassen wollte an Erlebtem, das ich aufschreiben musste, um mich selbst damit auseinanderzusetzen, probte ich literarische Formen. Ich hatte einen phantastischen Deutschlehrer, der mich unterstützte, auf Unstimmigkeiten oder Kitschiges hinwies. Aber die Schule war irgendwann beendet und es folgte – nichts. Oder doch. Das Leben. Studium, Familie, Trennung, neues Studium. Dann brach die Welt, in die ich hineingeboren worden war, zusammen. Alles, was bis dahin wichtig gewesen war, wurde an den Pranger gestellt, abgeschafft, verbuddelt.

    Ich musste dem etwas entgegensetzen. Ich konnte mich nur schreibend damit auseinandersetzen, und ich wollte keine Pamphlets. Ich verfasste kleine Geschichten für meinen Sohn, in denen Freundschaft und Solidarität, Akzeptanz und Liebe eine Rolle spielten, die wichtiger war als all das neue Glitzerzeug um mich herum.

    Ich schrieb kurze Texte, in denen ich mich erinnerte: an meine Herkunftsfamilie, an Dorfstrukturen, an die neuen Kreuze neben den Fahrbahnen.

    Schon damals wollte ich vor allem etwas bewahren. Aufheben im doppelten Sinn. Wörter, Empfindungen, Bilder, Gerüche. Mein Leben und das etlicher anderer aus diesem kleinen Siebzehn-Millionen-Einwohner-Staat. Ich wollte nicht „wir“ sagen, es sollten meine Geschichten bleiben, aber sie sollten möglichst viele Menschen dazu bewegen, über ihre eigenen Wege nachzudenken und sich zu erinnern.

    Ich fand eine Autorengruppe in der Nachbarstadt, die meine ersten Versuche begleitete. Wenige übten konstruktive Kritik, viele wohlwollende, aber es war ein Anfang.

    Es folgten schmerzhafte private Erlebnisse und viel Alltag, ich schrieb weiter. Bewarb mich um Aufenthalte in Künstlerhäusern, schickte stapelweise Manuskripte, die ich für gelungen hielt, an die großen Verlagshäuser. Ich sammelte Ablehnungen wie andere Briefmarken. Besuchte Kurse, lernte, schrieb.

    Der Erfolg stellte sich ein. Mein Traum von einem ersten veröffentlichten Buch erfüllte sich.

    Seit meinen ersten literarischen Versuchen sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Die Zeit meiner Kindheit, meines Erwachsenwerdens, taucht in vielen Büchern bekannter Autorinnen auf, so vielfältig, wie die Welt damals war. Ich schreibe immer noch darüber, auch, wenn ich Ausflüge in die Jahrzehnte davor oder in die nähere Vergangenheit unternehme. Es spielt immer eine Rolle, woher ich komme. Wahrscheinlich auch für jede Autorin, die jenseits des berüchtigten Zauns aufgewachsen ist, nur hat er oder sie nie um die Anerkennung der gesellschaftlichen Lebensumstände kämpfen müssen.

  • Regentag
    9. Oktober 2022

    Der Herbst hält auch hier Einzug. Nicht nur die bunten Blätter künden davon, die unzähligen Kastanien auf den Wegen, die feilgebotenen Esskastanien und die schrumpelnden Weintrauben. Ein Regentag. Ich hatte es ein wenig gewünscht, ich brauchte mal eine Pause, eine Laufpause, eine Mußestunde, in der mein Kopf das auskippen kann, was sich in den letzten Tagen angesammelt hat.

    Hinter den Wolken sind die Berge versteckt. Weiße Wolken, etliche sind inzwischen bis zu den Baukränen gesunken, einzelne Streifen ziehen auf halber Höhe ihre Bahn, schweben, bewegen sich kaum. Aber jedesmal, wenn ich aufschaue, hängen sie an einer anderen Stelle, nur den Kirchturm (den einen, es gibt sehr viele) werden sie heute nicht mehr erreichen.

    Während sich die Touristen wahrscheinlich grämen, bin ich dankbar für diesen Tag. Drei Reihen Bücher warten darauf, wenigstens einmal in die Hand genommen zu werden (die mitgebrachten kann ich schließlich einfach wieder einpacken), die zahlreichen Landkarten wollen sortiert werden, eine Mittagspause wäre auch mal schön.

    Mein Kopf ist noch lange nicht leer, ich kann schreiben und verwerfen und neu formulieren ohne den selbst produzierten Druck, neue Wege erkunden zu wollen, und außerdem klart es langsam auf.

    Es bleibt Zeit für beides: zum Schreiben und zum Laufen. Ich bin froh, keiner der Touristen zu sein, die morgen abreisen müssen, obwohl auch mein Aufenthalt begrenzt ist.

    „Sie bleiben das ganze Jahr?“, fragte ein Mann am Bus. Leider, nein. Obwohl. Diese Auszeit ist deshalb so inspirierend, weil es eine Ausnahme ist. So, wie dieser willkommene Regentag vermutlich eine Ausnahme bleiben wird – jedenfalls, solange ich hier bin.

  • Schreibzeiten
    7. Oktober 2022

    Noch während meines Fernstudiums konnte ich nachts gut arbeiten. Aufgaben lösen, mich in Probleme hineindenken, lernen. Ich kann nicht sagen, wann sich das geändert hat. Heute gibt es zwar auch noch Abendstunden oder Nächte, in denen ich am Laptop sitze, aber es ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Manchmal wache ich halb zwölf oder halb eins auf und muss die Gedanken notieren. Zu viele Einfälle sind in den nachfolgenden Stunden im Schlaf verlorengegangen und das Gestammel auf dem Diktiergerät schaffte ich selten in Literatur zu übersetzen, da half nur, aufzustehen und den Laptop ins Bett zu holen.

    Es gibt sie, die Tage, die ich schreibend verbringe: am Morgen noch vor dem Frühstück, dann mit Sprachaufzeichnungen, um vom Tisch aufstehen zu können, notierend oder formulierend im Sessel, im Bett, auf dem Fußboden liegend, oder ich schreibe im Kopf weiter, wenn ich unterwegs bin. Aber nach ein paar Stunden ist jeweils Pause. Mein Kopf vollkommen leer, so fühlt es sich an, und ich brauche gar nicht darüber nachzudenken, auch nur noch einen Satz zu schreiben oder die Seite voll zu bekommen. Leere, die erst wieder gefüllt werden muss. Die gefüllt wird, Panik hatte ich früher, ich weiß heute, dass es funktioniert.

    Es gibt Situationen, die Zeiten für mein Schreiben begünstigen, und es gibt Phasen, die gleich verlaufen: ich schreibe dann für längere Zeit jeden Tag am Nachmittag, jeden Tag am Vormittag, jeden Tag am Morgen.

    Neben den familiären Faktoren treten in den letzten Jahren ganz banale Umstände immer deutlicher hervor, die meine Schreibzeiten beeinflussen: die Jahreszeiten. Oder konkreter: der Lauf der Sonne. Sobald es Herbst wird und die Tage kürzer, werde ich später munter. Vielleicht ist das unser genetischer Code, alle Vögel und sogar die Fliegen passen sich der wechselnden Helligkeit an. Ich kann nicht sagen, dass ich Frühling oder Sommer mehr mag als Herbst und Winter, aber in jedem Jahr – neuerdings – wenn der Johannistag vorbei ist, beschleicht mich eine Traurigkeit, die mit zunehmender Dunkelheit korreliert, dabei ist davon bis Ende August nun wirklich nichts zu spüren.

    Im Sommer, wenn ich zwar nicht mit den Vögeln aufstehe, aber doch vor sechs Uhr, liegt der Tag langgestreckt vor mir, verheißungsvoll, energiegeladen wie ich selbst.

    Sobald die Schwalben auf dem Weg in den Süden sind, der wilde Wein rot leuchtet und die Äpfel zur Lagerung in den Keller gebracht werden, schrumpft der Tag. Gefühlt.

    Aber ohne Gefühl kein Schreiben und so schrumpft es mit. Dabei reichen mir fünf Tage an der stürmenden Ostsee im November oder Januar, um Seite um Seite zu füllen, intensiv zu überarbeiten, und nicht selten mehr zu erreichen als im Juli. Ich weiß das, ich bringe es nur nicht immer fertig, mit der Traurigkeit umzugehen, die dunkle Tage hervorrufen. Sich daran erinnern, hilft. Eine Kerze anzuzünden, einen Ingwertee zu trinken, Musik zu hören und mich in eine Decke zu wickeln, den Laptop auf den Knien.

    In diesem Jahr habe ich die Verlängerung des Sommers geschenkt bekommen. Der Himmel leuchtet blau, die Sonne gleißt, und während ich mich konzentriere, um den steilen Pfad vom Berg hinunter unbeschadet zu überstehen, danke ich meinen Knien und Füßen, die das ertragen. Mich tragen. Auf Kopfsteinpflaster und durch die Lauben (selten), auf Waalwegen (oft) und sogar zu Wasserfällen und durch Schluchten und zu Burgruinen hinauf. Auf dem mit Felsgestein übersäten Weg ins Tal müssen die Gedanken ruhen, bergauf oder um die Schluchten herum, an Almen oder eben Waalen dürfen sie fliegen. Über das Tal und wieder zu mir zurück. Sie füllen meinen Kopf, sie sammeln Ideen und sortieren vorhandene neu. Und schon sind sie wieder da: die späten Abende und frühen Morgen, die ich am Schreibtisch verbringe.

  • Schreiben oder Leben: Meran
    26. September 2022

    Ich sitze an einem höhenverstellbaren Schreibtisch (perfekt eingestellt) mit Blick auf das Bergpanorama und schaue den Wolken zu, die sich langsam über die heute Morgen bestaunten Schneegipfel schieben. Ein Luxusappartement! Dazu mehr unter: Künstlerhäuser. Sofern ich dazu komme, dort etwas hineinzuschreiben. Die schon ausgeführte Frage stellt sich in diesen Tagen nämlich noch einmal neu.

    Hier gibt es keine Familie, keine Pflichten, keinen Postboten, der ein Paket für die Nachbarin abgeben möchte. Vierundzwanzig Stunden täglich zum Schreiben. Ich habe mich danach gesehnt. Nicht danach, stundenlang am Schreibtisch zu sitzen, sei er auch noch so komfortabel, das könnte ich aus vielerlei Gründen nicht. Aber an mindestens zwei unterschiedlichen Projekten zu arbeiten, den Blog zu vervollständigen, vielleicht etwas ganz Neues zu beginnen. Aber da sind diese Berge… um das gesamte Tal herum blinzeln sie mir zu, besonnt oder schattig, bewaldet oder karg. Und da ich schon einmal vier Wochen in Südtirol wandernd zugebracht habe (aus ganz anderen Gründen, die ich hoffentlich einmal aufschreiben werde), weiß ich um das Vinschgau und die vielen Waalwege, das Stilfser Joch und die Almen.

    Der Beginn war vielversprechend. Schon im Zug sitzend begann ich zu schreiben, Dank des in letzter Minute gewechselten Akkus für den Laptop, zusätzlich nutzte ich die Diktierfunktion des Handys, ich war bereit. Nach der elendig langen Anreise allerdings nur noch vollkommen geschafft. Und am nächsten Morgen zog es mich hinaus. Und am übernächsten. Und so weiter. Für einen ausgemachten Flachländer ist der Abend nach einer Wanderung zwar lang – aber der Kopf so gefüllt, das kaum noch etwas aufs Papier oder in die Tastatur gelangen kann.

    Es wird Regentage geben, beruhige ich mich selbst, die Wettervorhersage ist erstaunlich präzise, ich kann am Vormittag draußen sein, bis elf Uhr vielleicht, und mich danach an den Schreibtisch setzen. Nur schiebt sich der Einsatz der Tropfen von zwölf auf eins auf zwei und so lange bin ich eben auch draußen. Wenn es dann losprasselt, brauche ich erst einmal eine Pause.

    Ich habe den gesamten Sommer über fleißig geschrieben, ich habe mir eine kleine Auszeit vom Schreibtisch wahrlich verdient, flüstert das für Bewegung zuständige Hirnareal. So laut, das alles andere übertönt wird. So eindringlich, dass ich nur vom Laptop aufschauen muss und die Berge anschauen, um zu wissen, dass ich auch am kommenden Tag wieder irgendwohin laufen werde.

    Schließlich kann ich nicht immer hier sein, die Berge mitnehmen funktioniert auch nicht, also nutze ich die Zeit. Ein wenig anders halt als geplant.

    Mitten in der Pandemie hatte ich in einem Interview gesagt, dass mir vor allem fehlt, unterwegs sein zu können, weil ich das für das Schreiben dringend brauche. Die Landschaften, die Gerüche, die Menschen, die mir begegnen, die kurzen oder längeren Gespräche, der Alltag. Aus dem ich schöpfen möchte und muss für all die Texte, die in mir schlummern und geschrieben werden wollen.

    Also gut. Wandern als Sammeln. Von Eindrücken, Begegnungen, Geschichten am Wegesrand. Und los.

  • Schreiben

    Buchstaben aneinanderzufügen und die korrekte Grammatik lernt jeder in der Schule. Sich Geschichten auszudenken gehörte zu meiner Kindheit wie zu der sehr vieler anderer. Bücher zu lesen war meine Lieblingsbeschäftigung. Weshalb also begann meine „Schriftstellerkarriere“ (in Anführungszeichen, weil es natürlich keine im landläufigen Sinne ist) relativ spät?

    Das Leben war einfach wichtiger. Und spannender. Und erlebnisreich genug. Vielleicht ging es mir auch zu gut. Es lohnte nicht, das zu erzählen, darüber ein Buch zu schreiben. Wie fast alle um mich herum absolvierte ich die Schule, mit guten Ergebnissen in allen Fächern, und selbst, wenn Deutsch ein besonderes war für mich, mit einem sehr besonderen Lehrer, Brecht-Fan, der uns nicht nur nach Berlin chauffieren ließ zum Berliner Ensemble und Stücke mit uns einstudierte, der zudem das heute sogenannte „Schreiben mit allen Sinnen“ für bloße Aufsätze lehrte, blieb es ein Schulfach. Versuche, mich schriftlich auszudrücken, gab es natürlich, wie bei vielen anderen Pubertierenden auch, und das „Fest der Deutschen Sprache“ mit der Rubrik „Selbstverfasste Dichtung“ war ein Ansporn. Etliche Studienrichtungen, die ich mir hätte vorstellen können, von Literaturwissenschaft bis Philosophie, ließen sich nicht realisieren, und ich denke heute tatsächlich, dass die teils hanebüchenen Absagen dafür gesorgt haben, dass ich mit dem eigentlichen Leben konfrontiert werden konnte, das mir bis heute unendlich viele Themen zum Schreiben liefert.

    Und dann war da mein Sohn, der genauso lesehungrig war wie ich selbst. Der mit Schnur und Pappe und Stiften Welten schuf und stundenlang baute und erzählte. Für den ich die ersten Geschichten schrieb. Mit ganz viel Freude und Spaß und nebenbei.

    Vielleicht war es eine Form der Midlifecrisis, ich empfand es als Chance auf ein zweites Leben, als mein Sohn erwachsen wurde. Ich war jung, viel jünger als heutige Eltern, mein Sohn würde schon bald das Haus verlassen (bzw. die kleine Wohnung), ich konnte das tun, was mir gefiel.

    Wir sprachen darüber, dass er sein Studium selbst würde finanzieren müssen, es schmerzte mich sehr, aber er stimmte sofort zu.

    Ich hatte Eheschließung, Scheidung, etliche Umzüge, kurze Lieben, schmerzvolle Trennungen und den Tod erlebt. Ich hatte nicht nur unterschiedliche Ausbildungen absolviert und in entsprechenden Funktionen gearbeitet, sondern auch in zwei extrem verschiedenen Systemen gelebt. Bewusst gelebt. Als die Mauer fiel, war ich siebenundzwanzig Jahre alt, alleinerziehend, mein Sohn sollte demnächst eingeschult werden.

    All das hat in meinem Fall dazu beigetragen, dass ich damit begann, meine Gedanken niederzuschreiben, nicht nur in ein Tagebuch. Dass ich mir Geschichten ausdachte, Vergangenem nachspürte, es bewahren wollte und nicht mehr nur für mich selbst notierte.