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Weihnachtsruhe

Weihnachtsruhe
27. November 2024

Es ist erst in vier Wochen soweit, besser gesagt, ist Weihnachten dann schon vorbei. Meine Ruhe vermutlich auch.
Noch hängt draußen der trübe November vor dem Fenster und lässt mich erst mittags aus der Wohnung (und vom stehenden und sitzenden Schreiben). Gehen, atmen, nachdenken. Die Hörbücher müssen gerade warten, ebenso wie die „echten“ Bücher, mein Kopf ist gefüllt, es dauert, ehe ich dort Platz für neue Texte finde. Dann ist es meistens schon wieder morgens.
Die permanente Konzentration ist kräftezehrend. Essen, Trinken, Laufen – alles findet statt, aber gefühlt ohne Beteiligung des Kopfes. Mund, Nase, Hände, Füße funktionieren wie bei einer Maschine, der Kopf aber will ständig etwas anderes und damit Hände und Füße beschäftigen. Ein Teufelskreis, der euphorisiert aber auch mega-anstrengend ist.

Ab dem Wochenende wird sich das ändern. Alles, was ich schaffen wollte, ist geschafft, jetzt schon, ich kann langsam austrudeln, im Hier und Jetzt ankommen, mich auf Plätzchen und Kerzen konzentrieren. Darauf, dass die Sonne es tatsächlich schafft, durch die dicken Wolken zu dringen. Noch wird es jeden Tag später hell und früher dunkel, aber auch der Kipppunkt ist schon bald erreicht und bis dahin werde ich endlich die Bücher lesen, die sich angesammelt haben, Briefe schreiben statt Geschichten, weniger strukturiert, aber herzlich. Ich werde mit den fremden Geschichten im Kopfhörer den Reihern, Enten und Schwänen zusehen und einfach nur laufen.
Mein Ruhemonat Dezember. Für die Familie und zum Backen. Damit mein Kopf sich erholt (hoffentlich) und ich insgesamt neue Kraft schöpfen kann für all die Dinge, die ich noch machen möchte. Nach Weihnachten.

Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran Oktober 2024

Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran Oktober 2024

Ein zweiter Aufenthalt in diesem traumhaften Appartement. Nur zwei Wochen, die ich aber gut nutzen wollte. Würden die Berge locken oder ich Ende Oktober die meiste Zeit drinnen zubringen müssen, einfach, weil es draußen ungemütlich war? Immer wieder rief ich Websiten mit der Wettervorhersage auf, die mindestens für die Hälfte der Zeit nur eins versprachen: Regen, Regen, Regen. Und dann erreichte ich Meran bei strahlendem Sonnenschein.

Das Wochenende vor dem Antritt des Stipendiums hatte ich etwas südlicher verbracht und war auf dem Sentiero della Pace gelaufen, dem Friedensweg. Über 700 Kilometer führt der Weg der Kriegsschauplätze zwischen italienischen und österreichisch-deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg, vom Stilfser Joch (das ich 2017 erwanderte) bis hinunter zum „Berg der zehntausend Toten“ Pasubio und wieder hinauf in die Dolomiten. Das konnte ich nicht meistern, mein Ziel war Rovereto, die Stadt des Friedens. Die teils in die Berge gebauten mehrstöckigen Bunker beeindruckten auch mich als Laien, wichtiger war mir jedoch, während des Laufens über heutige Kriege und vor allem den Frieden nachzudenken. Als ich schließlich unter der berühmten Friedensglocke stand, die täglich in Rovereto erklingt, war alle vorherige Anstrengung vergessen.

Meran war voller Touristen, ein mehrsprachiges Schnattern, die Weinlokale und Eisdielen gut besucht. Obwohl ich seltener italienische Sätze hörte, dachte ich an „la dolce vita“ und dass es vielleicht genau das ist, was man oder frau tun kann in dieser Zeit: das Leben und damit den Augenblick genießen.

Es blieb sonnig und warm. Zwar wurden die Nächte kühler und die Tage nach der Zeitumstellung kürzer, aber das kam mir gelegen. Bis mittags saß ich am Schreibtisch, dann ging ich wandern. Kurze Touren mit Podcast oder Hörbuch, mit Gesprächen an der Bushaltestelle oder am Waalweg. Nach dem Abendessen, das meistens schon am späten Nachmittag stattfand, setzte ich mich wieder an den Laptop. Jenseits des häuslichen Alltags konnte ich lesen, hören, schreiben – und nachdenken.

Natürlich sind zwei Wochen dafür keine lange Zeit, eine dritte Woche hätte ich mir sehr gewünscht. Aber die Begrenzung führte zu großer Intensität, ich bin zufrieden und freue mich an Kleinigkeiten: den Erklärversuchen der Bauarbeiter am Wegesrand mit Händen und Füßen, dem Durchwinken des Busfahrers, weil mein Ticket abgelaufen ist, dem Lächeln der Verkäuferin, als sie mich wiedererkennt.

Und wer weiß? Vielleicht muss ich gar nicht für immer Abschied nehmen vom Appartement.

Sind nicht aller guten Dinge drei?

Öfter etwas Neues wagen

Öfter etwas Neues wagen
04. November 2024

Wie oft denken Autorinnen darüber nach, das Genre zu wechseln?
Krimi statt Fantasy, Haiku statt Poem oder: Drehbücher für Filme oder Stücke fürs Theater statt epischem Roman. Weshalb nicht ein Computerspiel entwickeln? Jenseits der technischen Umsetzung selbstverständlich, oder ein Kinderbuch schreiben? Ebenfalls selbstverständlich ohne Illustration. Oder – vielleicht – mit Strichmännchen. Neben den klassischen Rubriken Epik, Dramatik, Lyrik und den neueren: Kurzgeschichte, Sachbuch oder Biografie gibt es schier unendlich viele Möglichkeiten.
Journalistisches Schreiben, ein Hörspiel verfassen, einen Fantasy-, Scienes-Fiction- oder Mittelalter-Roman, ein Liederbuch. Einen Satz auf zweihundert Seiten ausdehnen oder in Meister-Yoda-Sprache experimentieren.

Das Ausprobieren wird für die meisten, wie bei mir, in der Anfangszeit stattfinden/stattgefunden haben. Ich wollte mich schriftlich ausdrücken und suchte dafür die entsprechende Form. Eine, die zu mir passte, zu meinem Zeitreservoir, meiner Tippgeschwindigkeit, meinem Anliegen, meinen Vorlieben.
In den ersten Jahren habe ich kurze und längere Texte formuliert, Lyrik von vier Zeilen bis seitenlang, mich an Drehbüchern versucht und Hörspielen, an Kinderbüchern und Märchen für Erwachsene.
Heute brauche ich, um eine gute Kurzgeschichte zu schreiben, zuerst einen längeren Entwurf, den ich dann so lange überarbeite und zusammenstreiche, bis die Essenz als gelungene Kurzprosa bezeichnet werden kann. Wobei mir dann immer noch zu viele Figuren im Text herumstehen. Oder Nebenschauplätze wegen der Kürze nicht mehr wichtig werden können. Das ist sehr anstrengend für mich, ich verzweifle oft genug daran und gebe Kurzes wieder auf.
Geschichten, die sich ausbreiten dürfen, liegen mir offensichtlich mehr. Gekürzt und überarbeitet werden auch sie, aber von vierhundert Seiten fünfzig zu streichen, erscheint mir eher möglich als von drei Seiten eine halbe, und zwar jenseits der Mathematik.

Von einigen Genres habe ich mich innerlich verabschiedet. Ich tauge ja nicht einmal dazu, für runde Geburtstage Reime zu schmieden, weil sich in mir alles gegen unsaubere Enden und holprige Rhythmen sträubt, ebenso wie gegen Klischees, weshalb ich auch kein Buch im Bereich Romance zustande bringen würde. Trotzdem möchte ich dann und wann etwas ausprobieren. Eben doch eine Kurzgeschichte oder ein kleines Gedicht. Ein Kinderbuch mit Strichmännchen oder einen Songtext. Damit das Schreiben mir weiterhin vor allem Spaß macht. Anstrengend wird es dann von ganz allein.

BuchBerlin 2024

BuchBerlin 2024
23. September 2024

Vor einigen Jahren war ich zum ersten Mal als Vertreterin des Brandenburgischen Schriftstellerverbandes auf dieser kleinen Messe gewesen. Es hatte mir damals nicht gefallen. Zu viele Self-Publisher, die an zahlreichen Ständen ihre eigenen Bücher mit erschreckend banalen Themen in einer wenig ausgefeilten Sprache anboten, zu wenige Literaturverlage, viel zu viel Selbstdarstellung und Schnickschnack.

In diesem Jahr wagte ich mich wieder einmal dorthin. Der Brandenburgische Schriftstellerverband war nicht vertreten, auch „mein“ Karlsruher Verlag nicht, die Zahl an ausstellenden Literaturverlagen war ebenfalls geschrumpft.

Dennoch hatte sich bereits zur Eröffnung eine lange Schlange vor dem Eingang gebildet. Wieder waren es vor allem Autoren und Autorinnen, die selbstverlegte Bücher anboten, teils entsprechende Performance dazu boten, auch Merchandising stand offensichtlich hoch im Kurs. Es gab Lesungen und ausgestellte Bücher, die zum Schmökern einluden, mir allerdings leider auch vor Augen führten, dass diese Buchmesse vor allem den Bereichen Fantasy, Krimi und Romance gewidmet war. Und dem Selbst-Verlegen von Texten: ich sah etliche Stände von Dienstleistern, Werbeagenturen und Freien Lektoren. Gut, eine Tombola, ein Rätsel-Wettbewerb, hier und da Süßigkeiten – das findet sich auch auf der großen Messe in Leipzig.

Glücklicherweise gab es auch gute Momente an anderen Ständen: Mehrsprachige Kinderbücher, die in ausländischer Währung ausgepreist waren und für wenig Geld den Besitzer wechselten, kleine Literaturverlage, die anspruchsvolle Texte in Hardcover, Softcover und Zwischenformen hatten drucken lassen, eine Vielfalt an Themen und Genres, die mich erstaunte und aufmerken ließ. Auch die #BerlinAuthors waren vertreten, engagiert, jung, mit eigenen Werken und dem Ziel, ein breites Netzwerk aufzubauen, das auch jede brandenburgische Autorin willkommen heißt.

Die BuchBerlin geht über zwei Tage, an einem Wochenende, und vermutlich haben viele Gäste dort das gefunden, was sie gesucht haben. Ich konnte gute Gespräche führen, erfuhr auch, weshalb jemand die Buchmesse mochte oder was fehlte, oft sogar ungefragt. Für mich war es immerhin interessant und gekauft habe ich auch etwas. Ein Tag reichte mir jedoch und nach dem vielen Laufen zwischen den Gängen, die laienhaft beschriftet waren, atmete ich draußen die spätsommerlich warme Luft und schlenderte den restlichen Nachmittag lieber auf der anderen Seite des Bahnhofs Treptower Park, wo ich das Wasser sehen konnte und viel Grün und Muße hatte, über all das nachzudenken, was sich an Informationen und Bildern in mir angesammelt hatte.

Kann man das Zeichnen erlernen?

Kann man das Zeichnen erlernen?
9. September 2024

Flix sagt: Ja.

Ich bin mir selbst nach dem interessanten Seminar in Wolfenbüttel nicht sicher. Übung macht wohl auch hier erst den Meister. Ein paar Kniffe durfte ich lernen, kleine Striche meistens, die so viel aussagen können.

Es waren auf jeden Fall drei spannende Tage in einer wunderbar freundlichen und kreativen Gruppe, sogar das heiße Sommerwetter durfte draußen bleiben – im Saal der Mühle, während die Zimmer gut beheizt wirkten.

Comics hatten es zuvor nicht geschafft, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich verzweifelte regelmäßig daran, mich nur entweder auf die Bilder oder auf den Text konzentrieren zu können. Das einzige Buch, das ich vor allem wegen des Inhalts vollständig – ja, was nun – gelesen UND angeschaut habe, ist die „Vollständige Maus“, zwei Bände in einem Buch, von Art Spiegelman. Erstaunlicherweise sind mir, das wurde mir erst in Gesprächen bewusst, doch etliche Asterix-Gebilde als Gesamtheit von Text und Grafik in Erinnerung geblieben. Ich bin also in der Lage, Text und Bild in meinem Kopf zu vereinen. Und am dritten Morgen, beim Lesen des „Streiflichts“ stellte ich mir vor, wie dieser Artikel als Comic aussehen könnte. Die gedruckte „Süddeutsche“ ist eine schöne Zugabe in der Bundesakademie und ich blättere am Morgen gern darin.

Zum ersten Mal erlebte ich auch eine Comic-Lesung. Ich war sehr gespannt darauf zu erfahren, wie man so etwas durchführt – und wurde nicht enttäuscht. Es war lustig, es war anregend und kurzweilig.

Ganz nebenbei war es eine gute Schule für kurze und knappe Aussagen, die bestenfalls „ins Schwarze treffen“. Mein erster Text zu einer Grafik füllte das ganze Blatt, die letzten Texte bestanden aus wenigen Wörtern. Und sogar ein paar gute Striche habe ich hinbekommen. Das allerdings dem tollen Konzept geschuldet, angefangene Zeichnungen an einen Nachbarn weiterzureichen, was immens Spaß gemacht hat und den Druck rausnahm.

Ich werde vermutlich nicht zum Comic-Zeichner mutieren. Aber zu zeichnen lernen – ja, ich glaube, das kann man.

Analysieren

Analysieren
24. August 2024

Untersuchen, auswerten, zergliedern, zerlegen.
Manchmal sehne ich mich zurück zu Zeiten, in denen ich einfach nur konsumierte. Buch oder Film. Ausschließlich über Inhalte diskutierte. Vermutlich nur in meiner Erinnerung, denn schlechte Dialoge oder unglaubwürdige Entwicklungen sind mir ganz sicher auch früher schon aufgefallen. Seit ich selbst Texte verfasse, denke ich, stören mich solche Dinge häufiger. Glücklicherweise schaffe ich es in den meisten Fällen, auch das Gute zu sehen und klappe das Buch nur dann zu, breche das Hörbuch oder die Serie nur dann ab, wenn es für mich zu abstrus wird oder einfach zu schlecht.
Ich kann mich an gutem Handwerk erfreuen, selbst, wenn nicht alles schlüssig verläuft. In Serien, Büchern und Vorgelesenem. Bei Serien ist es am einfachsten, dran zu bleiben, mindestens die Cliffhanger sind gut gemacht, und sie taugen selbst mit abgerissenen Enden bestens zur Analyse. Einige erscheinen mir wie aus dem Handwerkskoffer gebastelt, ich weiß, wohin die Reise gehen wird, ich stolpere nicht einmal sehr über die wenig plastischen Figuren, weil die Dialoge humorvoll und knackig sind, weil ich trotz der Vorhersehung wissen möchte, wie es zum erwarteten Finale kommen wird.
Bei unterhaltender Literatur ist es ähnlich. Bei den Büchern, von denen ich Sätze oder gar Seiten kopiere, anderen vorlese, mir noch einmal vorlese, erfreue ich mich vor allem an den Dingen, die meine Gedankengänge von „Was ist das jetzt?“ oder „Weshalb jetzt so?“ in bloßes Staunen oder Nicken umwandeln, weil zum Beispiel eine eingeschobene Szene aus der Vogelperspektive erst merkwürdig erscheint und dann den perfekten Puzzlestein ergibt.
Bei Hörbüchern spule ich inzwischen zurück. Das ist wegen der Technik nicht immer so einfach wie beim Zurückblättern im echten Buch, aber es funktioniert und beschert mir zudem hin und wieder einen weiteren Genuss, wenn ich auf benachbarte Passagen treffe, die rückblickend in anderem Licht erscheinen.
Mich zu entscheiden fällt mir oft schwer. Da liegen die Bücherstapel, auf dem Handy warten die heruntergeladenen Hörbücher und auf dem Zettel stehen all die Serien, die sehenswert scheinen. Außerdem gelingt mir das Konsumieren nur jenseits der intensiven Schreibphasen, was vor allem den zeitlichen Umfang begrenzt. Während der schreibfreien Zeit jedoch lese, höre, schaue ich exzessiv.
Jede Geschichte, ob eher visuell oder nur zuhörend, produziert in meinem Kopf noch Stunden und Tage danach neue Welten, über die ich gern nachdenke. Das Analysieren, das Auseinandernehmen und Sezieren, aufs Handwerk konzentrieren, ist vielleicht einfach nur mein Weg, diese Geschichten zu verarbeiten. Um ganz nebenbei etwas für mein eigenes Schreiben zu lernen.

Literatur als Nahrung

Literatur als Nahrung
11. Juli 2024

Es gibt Phasen, in denen ich wenig lese und auch selten zu Hörbüchern greife. Meistens stecke ich dann in einem eigenen Projekt und möchte mich nicht ablenken lassen. Gerade ausgefeilte Texte mit prägendem Rhythmus könnten mich dazu verleiten, es ähnlich zu versuchen – ganz unbewusst und nicht annähernd so gut. Deshalb konzentriere ich mich beim Schreiben lieber aufs Schreiben.
Dazwischen liegen die Zeiten der Notizen, Skizzen, Fragmente, des Organisierens und eben der Bücher anderer Autorinnen.

Es ist Sommer und ich möchte mich erholen können, dafür sind Hörbücher bestens geeignet und ich finde sogar Spannendes, das handwerklich gut gemacht ist. Bleibe beim gewählten Autor vom Lübbe-Verlag, lausche und denke darüber nach, wie wichtig es ist, dass ich die Sprecherstimme mag. Die des Vorlesenden für ein Hörbuch, die des Lesenden auf der Bühne oder in einem Saal. Ich habe einige Hörbücher beiseite gelegt, weil ich mit der Tonhöhe, Aussprache, Betonung, nicht klarkam. Das unabhängig davon, ob der Text vom Verfasser oder einem Schauspieler eingelesen worden ist. Der Sommer ist sehr geeignet dafür, unterwegs zu sein: mit den Geschichten im Ohr oder von einer Veranstaltung zur nächsten. Ich möchte mich füllen mit Literatur, sie aufzunehmen, mich sättigen. Das Fremde verdauen, es kritisch hinterfragen, lernen. Für die kommende Phase, in der ich selbst schreibe.

Die Bücher finden nun wieder zu mir, ich lese viel und dabei darf es gern anspruchsvoll sein. Im Buch kann ich zurückblättern, einen Zettel als Markierung verwenden oder mir gleich ein paar Sätze herausschreiben. Eine Freundin liest immer mehrere Bücher parallel. Das habe ich ein paar Mal versucht, es funktionierte nicht. Ich brauche zu lange, um von einer Geschichte in eine andere zu finden, muss zurückblättern, manchmal ein ganzes Kapitel von vorn beginnen. Parallel etwas zu lesen und etwas anderes zu hören, klappt dagegen. Ich vertiefe mich also sitzend in dystopische Prosa und lausche gehend fasziniert historischen Daten, die ein anderer Autor miteinander und mit den Menschen und Anekdoten jener Epoche verwoben hat und die zum Teil ebenso aktuell wie dystopisch erscheinen. Erstes zwingt mir Lesepausen auf, weil es mich ziemlich deprimiert, wie wenig Chancen für die „kleinen Leute“ überhaupt existieren (und wie schnell Glück zerrinnt, jedenfalls bei denjenigen) und wie brutal Armut sein kann, zweites sollte ich mit vielen Pausen anhören, weil es so unendlich viele Fakten darin gibt, aber ich bin gefangen in diesem Sog. Jede Tätigkeit, die mich die Kopfhörer absetzen lässt, ärgert mich.
Das war anscheinend schon immer so. Eine Besucherin erzählte mir am Rande einer Lesung, dass sie sich gut daran erinnert, dass ich als Kind einmal aufräumen sollte – und nur das Allernötigste beiseiteschob, mich mit einem Buch aufs Bett setzte und nicht einmal aufsah, als die folgerichtige Schimpftirade begann. Ich kann mich nicht daran erinnern, weiß also auch nicht, auf welchem Planeten ich damals unterwegs gewesen bin, aber es war ganz sicher nicht das aufzuräumende Kinderzimmer. In fremden Welten zu verschwinden begeistert mich noch immer. Die in den allermeisten Fällen so fremd nicht sind: es gibt Kinder und Erwachsene, Liebe, Tod, Sehnsucht, Verzweiflung und manchmal Hoffnung. Es ist nicht wichtig für mich, ob die Pferde grün sind und ob sie fliegen können. Ich kann es: mit diesen Geschichten.

Alte und neue Texte

Alte und neue Texte

8. Juni 2024

Wenn mein Buch veröffentlicht worden ist, möchte ich es einem möglichst großen Publikum zeigen. So lange habe ich geschrieben, verworfen, neu formuliert, das Lektorat absolviert, immer wieder über einzelne Wörter, Zeilen, Figuren und rote Fäden nachgedacht. Das Lesen vor interessierten Zuhörern ist mein Lohn.
Vom Verkauf können eh nur wenige leben, auch die Honorare für unbekannte Schriftsteller halten sich in Grenzen. Gäste, die sich zu meiner Buchvorstellung auf den Weg machen, die näher heranrücken und nach dem Vortrag zu mir kommen, sind deshalb immens wichtig.
Schon Wochen zuvor suche ich nach Passagen, die zur jeweiligen Besucherschar passen könnten, stelle die Auszüge zusammen, übe das Sprechen.

„Greta“ ist mein dritter Roman, zuvor gab es zwei andere, die sich inhaltlich und auch sprachlich unterscheiden. Zudem Anthologien, in denen ich mit kürzeren Texten vertreten bin. Für eine Lesung aus einem anderen als dem aktuellen Buch ist der Vorbereitungsaufwand wesentlich höher. Ich staune über Formulierungen, die ich doch verfasst habe, den benutzten Rhythmus, die komponierten Handlungsstränge. Obwohl es viele Dateien gibt mit erprobten Textauszügen, sitze ich nach Jahren skeptisch davor und fürchte mich vor der falschen Entscheidung. Soll ich Natur, Beziehungen oder gleich die Liebe in den Vordergrund stellen? Vor allem die Frage, was den Gast dazu bewegen könnte, das gesamte Buch lesen zu wollen, erscheint mir unlösbar.

Das Lesen üben fordert mehr Konzentration. Dazu kommt die Unsicherheit. An dem aktuellen Buch habe ich eben gerade noch intensiv gearbeitet, ich kenne es.
Vor allem deshalb greife ich bei älteren Texten in den meisten Fällen auf die Kapitel zurück, die ihre Eignung fürs Publikum bewiesen haben.

Am schlimmsten und schönsten ist es dann am Tag der Veranstaltung. Schlimm ist das Zweifeln, die Aufregung, noch stärker als bei der aktuellen Geschichte. Aber dann folgen Erleichterung und Stolz: auch nach Jahren werden meine Texte verstanden und geliebt.
Ein Geschenk, für das es sich immer wieder lohnt, Akquise, Vorbereitung und Präsentation im wörtlichen Sinn durchzustehen.

Mut

Mut
12. Mai 2024

Lesungsakquise ist ein hartes Brot.
Bei großen Verlagen wird so etwas von Mitarbeitern übernommen, die Autorinnen müssen sich nur die Termine merken, das Honorar wird in einer Höhe gezahlt, von der unbekannte Autorinnen nur träumen können – und ohne Diskussion.
So jedenfalls war es einmal, inzwischen müssen auch namhafte Autorinnen, jedenfalls diejenigen außerhalb der Bestsellerlisten, um Lesungen kämpfen. Ich weiß nicht, ob wirklich weniger Menschen geistige Lektüre genießen und dafür vor die Tür gehen, ob es tatsächlich an geschwundenem Interesse liegt. Die Gespräche, die ich nach meinen Buchvorstellungen erlebe, zeugen immer von sehr viel Neugierde, Offenheit und Wertschätzung.

Ich habe etliche Lesungen, endlich wieder, die letzten Jahre kümmerten so vor sich hin, und ich liebe es, Gästen etwas vorzutragen, ihnen meine Geschichten zu erzählen.
Ich beherrsche das auch, jenseits einer Performance, ich freue mich vor jeder Darbietung vor allem darauf, dieses Mucksmäuschenstille zu erleben, das der schönste Lohn für mich ist. Dass davon keine Miete gezahlt werden kann, so, wie Menschen nicht auf Dauer von Luft und Liebe leben können, sollte jedem einleuchten.

Dass für kleinere Veranstalter ebenfalls ein hoher Aufwand entsteht, wenn sie Fördermittel einwerben müssen, um mich bezahlen zu können, soll nicht vergessen werden, wird von mir nie vergessen. Im Gegenteil, oft genug weise ich Vereine erst darauf hin, wo finanzielle Unterstützung beantragt werden kann. Das schließlich ist ein Fundus, aus dem sie auch für andere Vorhaben schöpfen könnten.

Die Arbeit vor einer solchen Veranstaltung findet selten Beachtung. Die Nachfragen, per Email oder Telefon, die Absagen, das Vertrösten. Der Aufschrei, weil Kosten entstehen. Für die Autorin, für Reisekosten. Dabei sind das sehr kleine Beträge, gemessen an den Berühmtheiten, und die Vorbereitung der Präsentation ist nicht weniger anstrengend für jene, die einfach nur Bücher schreiben und froh sind, dass ein Verlag sie herausgebracht hat.

Also suche ich wieder und wieder nach Orten, an denen ich aus meinen Romanen vorlesen kann, knüpfe Kontakte, frische ältere auf und im besten Fall entsteht ein Termin. Im besten Fall kommen Menschen, die Auszüge aus meinen Büchern hören wollen, die mich sehen, mit mir reden möchten über die Geschichte und vor allem über ihre Geschichten. Lesungen bieten immer auch Begegnungen und Austausch. Etwas, das viele Zuhörer woanders seltener finden.

Um das zu erhalten, wünsche ich mir mehr Mut von Veranstaltern, interessierten Besuchern auch unbekanntere Autorinnen zu präsentieren, und ich wünsche mir, dass Honorarempfehlungen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern dafür Fördermittel unbürokratisch beantragt und ausgegeben werden. Für eine vielfältige Kultur, die zwar erst nach dem (selbst harten) Brot kommt, aber dennoch unverzichtbar ist.

Leserunde, Fazit

Leserunde, Fazit
7. April 2024

Menschen, die ich nicht kenne, lesen mein Buch. Soweit klingt das ganz normal. Das ist es schließlich, was Autorinnen sich wünschen: dass ihr Buch gelesen wird.
In einer Leserunde ist das ein wenig anders, denn diejenigen, die lesen, wollen auch den Austausch mit derjenigen, die das verfasst hat. Die Überraschungen bleiben nicht aus. Das kannte ich bereits aus vorherigen Runden und es ist mir noch gut in Erinnerung – das dachte ich wenigstens.

Es ist ein vollkommen anderer Roman und die Leseeindrücke unterscheiden sich sehr. Es geht nicht um Ost-West, ein Territorium, auf dem ich mich recht sicher fühle. Es geht plötzlich um die Geschichte der alten Dame und die der jungen Frau und darum, dass die Geschichte der jungen Frau den Leserinnen weniger gefällt. Eine Kritik, mit der ich klarkommen will, ich liebe meine Figur und finde sie selbstverständlich gelungen, ihre Handlungen sind für mich schlüssig. Für die Leserinnen offensichtlich nicht. Da spielt eigenes Erleben mit hinein, wer mag schon den Spiegel, der einem vorgehalten wird. Kann ich gut nachvollziehen. Irritierend bleibt es dennoch. Ebenso wie der sogenannte Gruppenzwang, der einem im realen Leben auch hin und wieder begegnet. Einer sagt etwas, andere schließen sich an. Der Gruppenzwang scheint dieses Mal nicht so ausgeprägt zu sein, die Gefühle der Anstrengung schon. „Anspruchsvoll“ – ja, so möchte ich schreiben. Das wird von jeder Leserin anders verkraftet.

Die Leserunde ist fast beendet und wieder einmal hat sie mich sehr viel Kraft und Zeit gekostet.
Ich freue mich darüber, dass allen Gretas Reise gefällt, sie mich am Schluss mit Sternchen belohnen. Und habe ganz nebenbei auch wieder etwas gelernt: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.