7. Oktober 2022

Noch während meines Fernstudiums konnte ich nachts gut arbeiten. Aufgaben lösen, mich in Probleme hineindenken, lernen. Ich kann nicht sagen, wann sich das geändert hat. Heute gibt es zwar auch noch Abendstunden oder Nächte, in denen ich am Laptop sitze, aber es ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Manchmal wache ich halb zwölf oder halb eins auf und muss die Gedanken notieren. Zu viele Einfälle sind in den nachfolgenden Stunden im Schlaf verlorengegangen und das Gestammel auf dem Diktiergerät schaffte ich selten in Literatur zu übersetzen, da half nur, aufzustehen und den Laptop ins Bett zu holen.

Es gibt sie, die Tage, die ich schreibend verbringe: am Morgen noch vor dem Frühstück, dann mit Sprachaufzeichnungen, um vom Tisch aufstehen zu können, notierend oder formulierend im Sessel, im Bett, auf dem Fußboden liegend, oder ich schreibe im Kopf weiter, wenn ich unterwegs bin. Aber nach ein paar Stunden ist jeweils Pause. Mein Kopf vollkommen leer, so fühlt es sich an, und ich brauche gar nicht darüber nachzudenken, auch nur noch einen Satz zu schreiben oder die Seite voll zu bekommen. Leere, die erst wieder gefüllt werden muss. Die gefüllt wird, Panik hatte ich früher, ich weiß heute, dass es funktioniert.

Es gibt Situationen, die Zeiten für mein Schreiben begünstigen, und es gibt Phasen, die gleich verlaufen: ich schreibe dann für längere Zeit jeden Tag am Nachmittag, jeden Tag am Vormittag, jeden Tag am Morgen.

Neben den familiären Faktoren treten in den letzten Jahren ganz banale Umstände immer deutlicher hervor, die meine Schreibzeiten beeinflussen: die Jahreszeiten. Oder konkreter: der Lauf der Sonne. Sobald es Herbst wird und die Tage kürzer, werde ich später munter. Vielleicht ist das unser genetischer Code, alle Vögel und sogar die Fliegen passen sich der wechselnden Helligkeit an. Ich kann nicht sagen, dass ich Frühling oder Sommer mehr mag als Herbst und Winter, aber in jedem Jahr – neuerdings – wenn der Johannistag vorbei ist, beschleicht mich eine Traurigkeit, die mit zunehmender Dunkelheit korreliert, dabei ist davon bis Ende August nun wirklich nichts zu spüren.

Im Sommer, wenn ich zwar nicht mit den Vögeln aufstehe, aber doch vor sechs Uhr, liegt der Tag langgestreckt vor mir, verheißungsvoll, energiegeladen wie ich selbst.

Sobald die Schwalben auf dem Weg in den Süden sind, der wilde Wein rot leuchtet und die Äpfel zur Lagerung in den Keller gebracht werden, schrumpft der Tag. Gefühlt.

Aber ohne Gefühl kein Schreiben und so schrumpft es mit. Dabei reichen mir fünf Tage an der stürmenden Ostsee im November oder Januar, um Seite um Seite zu füllen, intensiv zu überarbeiten, und nicht selten mehr zu erreichen als im Juli. Ich weiß das, ich bringe es nur nicht immer fertig, mit der Traurigkeit umzugehen, die dunkle Tage hervorrufen. Sich daran erinnern, hilft. Eine Kerze anzuzünden, einen Ingwertee zu trinken, Musik zu hören und mich in eine Decke zu wickeln, den Laptop auf den Knien.

In diesem Jahr habe ich die Verlängerung des Sommers geschenkt bekommen. Der Himmel leuchtet blau, die Sonne gleißt, und während ich mich konzentriere, um den steilen Pfad vom Berg hinunter unbeschadet zu überstehen, danke ich meinen Knien und Füßen, die das ertragen. Mich tragen. Auf Kopfsteinpflaster und durch die Lauben (selten), auf Waalwegen (oft) und sogar zu Wasserfällen und durch Schluchten und zu Burgruinen hinauf. Auf dem mit Felsgestein übersäten Weg ins Tal müssen die Gedanken ruhen, bergauf oder um die Schluchten herum, an Almen oder eben Waalen dürfen sie fliegen. Über das Tal und wieder zu mir zurück. Sie füllen meinen Kopf, sie sammeln Ideen und sortieren vorhandene neu. Und schon sind sie wieder da: die späten Abende und frühen Morgen, die ich am Schreibtisch verbringe.