Buchstaben aneinanderzufügen und die korrekte Grammatik lernt jeder in der Schule. Sich Geschichten auszudenken gehörte zu meiner Kindheit wie zu der sehr vieler anderer. Bücher zu lesen war meine Lieblingsbeschäftigung. Weshalb also begann meine „Schriftstellerkarriere“ (in Anführungszeichen, weil es natürlich keine im landläufigen Sinne ist) relativ spät?

Das Leben war einfach wichtiger. Und spannender. Und erlebnisreich genug. Vielleicht ging es mir auch zu gut. Es lohnte nicht, das zu erzählen, darüber ein Buch zu schreiben. Wie fast alle um mich herum absolvierte ich die Schule, mit guten Ergebnissen in allen Fächern, und selbst, wenn Deutsch ein besonderes war für mich, mit einem sehr besonderen Lehrer, Brecht-Fan, der uns nicht nur nach Berlin chauffieren ließ zum Berliner Ensemble und Stücke mit uns einstudierte, der zudem das heute sogenannte „Schreiben mit allen Sinnen“ für bloße Aufsätze lehrte, blieb es ein Schulfach. Versuche, mich schriftlich auszudrücken, gab es natürlich, wie bei vielen anderen Pubertierenden auch, und das „Fest der Deutschen Sprache“ mit der Rubrik „Selbstverfasste Dichtung“ war ein Ansporn. Etliche Studienrichtungen, die ich mir hätte vorstellen können, von Literaturwissenschaft bis Philosophie, ließen sich nicht realisieren, und ich denke heute tatsächlich, dass die teils hanebüchenen Absagen dafür gesorgt haben, dass ich mit dem eigentlichen Leben konfrontiert werden konnte, das mir bis heute unendlich viele Themen zum Schreiben liefert.

Und dann war da mein Sohn, der genauso lesehungrig war wie ich selbst. Der mit Schnur und Pappe und Stiften Welten schuf und stundenlang baute und erzählte. Für den ich die ersten Geschichten schrieb. Mit ganz viel Freude und Spaß und nebenbei.

Vielleicht war es eine Form der Midlifecrisis, ich empfand es als Chance auf ein zweites Leben, als mein Sohn erwachsen wurde. Ich war jung, viel jünger als heutige Eltern, mein Sohn würde schon bald das Haus verlassen (bzw. die kleine Wohnung), ich konnte das tun, was mir gefiel.

Wir sprachen darüber, dass er sein Studium selbst würde finanzieren müssen, es schmerzte mich sehr, aber er stimmte sofort zu.

Ich hatte Eheschließung, Scheidung, etliche Umzüge, kurze Lieben, schmerzvolle Trennungen und den Tod erlebt. Ich hatte nicht nur unterschiedliche Ausbildungen absolviert und in entsprechenden Funktionen gearbeitet, sondern auch in zwei extrem verschiedenen Systemen gelebt. Bewusst gelebt. Als die Mauer fiel, war ich siebenundzwanzig Jahre alt, alleinerziehend, mein Sohn sollte demnächst eingeschult werden.

All das hat in meinem Fall dazu beigetragen, dass ich damit begann, meine Gedanken niederzuschreiben, nicht nur in ein Tagebuch. Dass ich mir Geschichten ausdachte, Vergangenem nachspürte, es bewahren wollte und nicht mehr nur für mich selbst notierte.