- Weihnachtsruhe
27. November 2024
Es ist erst in vier Wochen soweit, besser gesagt, ist Weihnachten dann schon vorbei. Meine Ruhe vermutlich auch.
Noch hängt draußen der trübe November vor dem Fenster und lässt mich erst mittags aus der Wohnung (und vom stehenden und sitzenden Schreiben). Gehen, atmen, nachdenken. Die Hörbücher müssen gerade warten, ebenso wie die „echten“ Bücher, mein Kopf ist gefüllt, es dauert, ehe ich dort Platz für neue Texte finde. Dann ist es meistens schon wieder morgens.
Die permanente Konzentration ist kräftezehrend. Essen, Trinken, Laufen – alles findet statt, aber gefühlt ohne Beteiligung des Kopfes. Mund, Nase, Hände, Füße funktionieren wie bei einer Maschine, der Kopf aber will ständig etwas anderes und damit Hände und Füße beschäftigen. Ein Teufelskreis, der euphorisiert aber auch mega-anstrengend ist.Ab dem Wochenende wird sich das ändern. Alles, was ich schaffen wollte, ist geschafft, jetzt schon, ich kann langsam austrudeln, im Hier und Jetzt ankommen, mich auf Plätzchen und Kerzen konzentrieren. Darauf, dass die Sonne es tatsächlich schafft, durch die dicken Wolken zu dringen. Noch wird es jeden Tag später hell und früher dunkel, aber auch der Kipppunkt ist schon bald erreicht und bis dahin werde ich endlich die Bücher lesen, die sich angesammelt haben, Briefe schreiben statt Geschichten, weniger strukturiert, aber herzlich. Ich werde mit den fremden Geschichten im Kopfhörer den Reihern, Enten und Schwänen zusehen und einfach nur laufen.
Mein Ruhemonat Dezember. Für die Familie und zum Backen. Damit mein Kopf sich erholt (hoffentlich) und ich insgesamt neue Kraft schöpfen kann für all die Dinge, die ich noch machen möchte. Nach Weihnachten. - Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran Oktober 2024
Ein zweiter Aufenthalt in diesem traumhaften Appartement. Nur zwei Wochen, die ich aber gut nutzen wollte. Würden die Berge locken oder ich Ende Oktober die meiste Zeit drinnen zubringen müssen, einfach, weil es draußen ungemütlich war? Immer wieder rief ich Websiten mit der Wettervorhersage auf, die mindestens für die Hälfte der Zeit nur eins versprachen: Regen, Regen, Regen. Und dann erreichte ich Meran bei strahlendem Sonnenschein.
Das Wochenende vor dem Antritt des Stipendiums hatte ich etwas südlicher verbracht und war auf dem Sentiero della Pace gelaufen, dem Friedensweg. Über 700 Kilometer führt der Weg der Kriegsschauplätze zwischen italienischen und österreichisch-deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg, vom Stilfser Joch (das ich 2017 erwanderte) bis hinunter zum „Berg der zehntausend Toten“ Pasubio und wieder hinauf in die Dolomiten. Das konnte ich nicht meistern, mein Ziel war Rovereto, die Stadt des Friedens. Die teils in die Berge gebauten mehrstöckigen Bunker beeindruckten auch mich als Laien, wichtiger war mir jedoch, während des Laufens über heutige Kriege und vor allem den Frieden nachzudenken. Als ich schließlich unter der berühmten Friedensglocke stand, die täglich in Rovereto erklingt, war alle vorherige Anstrengung vergessen.
Meran war voller Touristen, ein mehrsprachiges Schnattern, die Weinlokale und Eisdielen gut besucht. Obwohl ich seltener italienische Sätze hörte, dachte ich an „la dolce vita“ und dass es vielleicht genau das ist, was man oder frau tun kann in dieser Zeit: das Leben und damit den Augenblick genießen.
Es blieb sonnig und warm. Zwar wurden die Nächte kühler und die Tage nach der Zeitumstellung kürzer, aber das kam mir gelegen. Bis mittags saß ich am Schreibtisch, dann ging ich wandern. Kurze Touren mit Podcast oder Hörbuch, mit Gesprächen an der Bushaltestelle oder am Waalweg. Nach dem Abendessen, das meistens schon am späten Nachmittag stattfand, setzte ich mich wieder an den Laptop. Jenseits des häuslichen Alltags konnte ich lesen, hören, schreiben – und nachdenken.
Natürlich sind zwei Wochen dafür keine lange Zeit, eine dritte Woche hätte ich mir sehr gewünscht. Aber die Begrenzung führte zu großer Intensität, ich bin zufrieden und freue mich an Kleinigkeiten: den Erklärversuchen der Bauarbeiter am Wegesrand mit Händen und Füßen, dem Durchwinken des Busfahrers, weil mein Ticket abgelaufen ist, dem Lächeln der Verkäuferin, als sie mich wiedererkennt.
Und wer weiß? Vielleicht muss ich gar nicht für immer Abschied nehmen vom Appartement.
Sind nicht aller guten Dinge drei?
- Öfter etwas Neues wagen
04. November 2024
Wie oft denken Autorinnen darüber nach, das Genre zu wechseln?
Krimi statt Fantasy, Haiku statt Poem oder: Drehbücher für Filme oder Stücke fürs Theater statt epischem Roman. Weshalb nicht ein Computerspiel entwickeln? Jenseits der technischen Umsetzung selbstverständlich, oder ein Kinderbuch schreiben? Ebenfalls selbstverständlich ohne Illustration. Oder – vielleicht – mit Strichmännchen. Neben den klassischen Rubriken Epik, Dramatik, Lyrik und den neueren: Kurzgeschichte, Sachbuch oder Biografie gibt es schier unendlich viele Möglichkeiten.
Journalistisches Schreiben, ein Hörspiel verfassen, einen Fantasy-, Scienes-Fiction- oder Mittelalter-Roman, ein Liederbuch. Einen Satz auf zweihundert Seiten ausdehnen oder in Meister-Yoda-Sprache experimentieren.Das Ausprobieren wird für die meisten, wie bei mir, in der Anfangszeit stattfinden/stattgefunden haben. Ich wollte mich schriftlich ausdrücken und suchte dafür die entsprechende Form. Eine, die zu mir passte, zu meinem Zeitreservoir, meiner Tippgeschwindigkeit, meinem Anliegen, meinen Vorlieben.
In den ersten Jahren habe ich kurze und längere Texte formuliert, Lyrik von vier Zeilen bis seitenlang, mich an Drehbüchern versucht und Hörspielen, an Kinderbüchern und Märchen für Erwachsene.
Heute brauche ich, um eine gute Kurzgeschichte zu schreiben, zuerst einen längeren Entwurf, den ich dann so lange überarbeite und zusammenstreiche, bis die Essenz als gelungene Kurzprosa bezeichnet werden kann. Wobei mir dann immer noch zu viele Figuren im Text herumstehen. Oder Nebenschauplätze wegen der Kürze nicht mehr wichtig werden können. Das ist sehr anstrengend für mich, ich verzweifle oft genug daran und gebe Kurzes wieder auf.
Geschichten, die sich ausbreiten dürfen, liegen mir offensichtlich mehr. Gekürzt und überarbeitet werden auch sie, aber von vierhundert Seiten fünfzig zu streichen, erscheint mir eher möglich als von drei Seiten eine halbe, und zwar jenseits der Mathematik.Von einigen Genres habe ich mich innerlich verabschiedet. Ich tauge ja nicht einmal dazu, für runde Geburtstage Reime zu schmieden, weil sich in mir alles gegen unsaubere Enden und holprige Rhythmen sträubt, ebenso wie gegen Klischees, weshalb ich auch kein Buch im Bereich Romance zustande bringen würde. Trotzdem möchte ich dann und wann etwas ausprobieren. Eben doch eine Kurzgeschichte oder ein kleines Gedicht. Ein Kinderbuch mit Strichmännchen oder einen Songtext. Damit das Schreiben mir weiterhin vor allem Spaß macht. Anstrengend wird es dann von ganz allein.
- BuchBerlin 2024
23. September 2024
Vor einigen Jahren war ich zum ersten Mal als Vertreterin des Brandenburgischen Schriftstellerverbandes auf dieser kleinen Messe gewesen. Es hatte mir damals nicht gefallen. Zu viele Self-Publisher, die an zahlreichen Ständen ihre eigenen Bücher mit erschreckend banalen Themen in einer wenig ausgefeilten Sprache anboten, zu wenige Literaturverlage, viel zu viel Selbstdarstellung und Schnickschnack.
In diesem Jahr wagte ich mich wieder einmal dorthin. Der Brandenburgische Schriftstellerverband war nicht vertreten, auch „mein“ Karlsruher Verlag nicht, die Zahl an ausstellenden Literaturverlagen war ebenfalls geschrumpft.
Dennoch hatte sich bereits zur Eröffnung eine lange Schlange vor dem Eingang gebildet. Wieder waren es vor allem Autoren und Autorinnen, die selbstverlegte Bücher anboten, teils entsprechende Performance dazu boten, auch Merchandising stand offensichtlich hoch im Kurs. Es gab Lesungen und ausgestellte Bücher, die zum Schmökern einluden, mir allerdings leider auch vor Augen führten, dass diese Buchmesse vor allem den Bereichen Fantasy, Krimi und Romance gewidmet war. Und dem Selbst-Verlegen von Texten: ich sah etliche Stände von Dienstleistern, Werbeagenturen und Freien Lektoren. Gut, eine Tombola, ein Rätsel-Wettbewerb, hier und da Süßigkeiten – das findet sich auch auf der großen Messe in Leipzig.
Glücklicherweise gab es auch gute Momente an anderen Ständen: Mehrsprachige Kinderbücher, die in ausländischer Währung ausgepreist waren und für wenig Geld den Besitzer wechselten, kleine Literaturverlage, die anspruchsvolle Texte in Hardcover, Softcover und Zwischenformen hatten drucken lassen, eine Vielfalt an Themen und Genres, die mich erstaunte und aufmerken ließ. Auch die #BerlinAuthors waren vertreten, engagiert, jung, mit eigenen Werken und dem Ziel, ein breites Netzwerk aufzubauen, das auch jede brandenburgische Autorin willkommen heißt.
Die BuchBerlin geht über zwei Tage, an einem Wochenende, und vermutlich haben viele Gäste dort das gefunden, was sie gesucht haben. Ich konnte gute Gespräche führen, erfuhr auch, weshalb jemand die Buchmesse mochte oder was fehlte, oft sogar ungefragt. Für mich war es immerhin interessant und gekauft habe ich auch etwas. Ein Tag reichte mir jedoch und nach dem vielen Laufen zwischen den Gängen, die laienhaft beschriftet waren, atmete ich draußen die spätsommerlich warme Luft und schlenderte den restlichen Nachmittag lieber auf der anderen Seite des Bahnhofs Treptower Park, wo ich das Wasser sehen konnte und viel Grün und Muße hatte, über all das nachzudenken, was sich an Informationen und Bildern in mir angesammelt hatte.
- Kann man das Zeichnen erlernen?
9. September 2024
Flix sagt: Ja.
Ich bin mir selbst nach dem interessanten Seminar in Wolfenbüttel nicht sicher. Übung macht wohl auch hier erst den Meister. Ein paar Kniffe durfte ich lernen, kleine Striche meistens, die so viel aussagen können.
Es waren auf jeden Fall drei spannende Tage in einer wunderbar freundlichen und kreativen Gruppe, sogar das heiße Sommerwetter durfte draußen bleiben – im Saal der Mühle, während die Zimmer gut beheizt wirkten.
Comics hatten es zuvor nicht geschafft, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich verzweifelte regelmäßig daran, mich nur entweder auf die Bilder oder auf den Text konzentrieren zu können. Das einzige Buch, das ich vor allem wegen des Inhalts vollständig – ja, was nun – gelesen UND angeschaut habe, ist die „Vollständige Maus“, zwei Bände in einem Buch, von Art Spiegelman. Erstaunlicherweise sind mir, das wurde mir erst in Gesprächen bewusst, doch etliche Asterix-Gebilde als Gesamtheit von Text und Grafik in Erinnerung geblieben. Ich bin also in der Lage, Text und Bild in meinem Kopf zu vereinen. Und am dritten Morgen, beim Lesen des „Streiflichts“ stellte ich mir vor, wie dieser Artikel als Comic aussehen könnte. Die gedruckte „Süddeutsche“ ist eine schöne Zugabe in der Bundesakademie und ich blättere am Morgen gern darin.
Zum ersten Mal erlebte ich auch eine Comic-Lesung. Ich war sehr gespannt darauf zu erfahren, wie man so etwas durchführt – und wurde nicht enttäuscht. Es war lustig, es war anregend und kurzweilig.
Ganz nebenbei war es eine gute Schule für kurze und knappe Aussagen, die bestenfalls „ins Schwarze treffen“. Mein erster Text zu einer Grafik füllte das ganze Blatt, die letzten Texte bestanden aus wenigen Wörtern. Und sogar ein paar gute Striche habe ich hinbekommen. Das allerdings dem tollen Konzept geschuldet, angefangene Zeichnungen an einen Nachbarn weiterzureichen, was immens Spaß gemacht hat und den Druck rausnahm.
Ich werde vermutlich nicht zum Comic-Zeichner mutieren. Aber zu zeichnen lernen – ja, ich glaube, das kann man.
- Analysieren
24. August 2024
Untersuchen, auswerten, zergliedern, zerlegen.
Manchmal sehne ich mich zurück zu Zeiten, in denen ich einfach nur konsumierte. Buch oder Film. Ausschließlich über Inhalte diskutierte. Vermutlich nur in meiner Erinnerung, denn schlechte Dialoge oder unglaubwürdige Entwicklungen sind mir ganz sicher auch früher schon aufgefallen. Seit ich selbst Texte verfasse, denke ich, stören mich solche Dinge häufiger. Glücklicherweise schaffe ich es in den meisten Fällen, auch das Gute zu sehen und klappe das Buch nur dann zu, breche das Hörbuch oder die Serie nur dann ab, wenn es für mich zu abstrus wird oder einfach zu schlecht.
Ich kann mich an gutem Handwerk erfreuen, selbst, wenn nicht alles schlüssig verläuft. In Serien, Büchern und Vorgelesenem. Bei Serien ist es am einfachsten, dran zu bleiben, mindestens die Cliffhanger sind gut gemacht, und sie taugen selbst mit abgerissenen Enden bestens zur Analyse. Einige erscheinen mir wie aus dem Handwerkskoffer gebastelt, ich weiß, wohin die Reise gehen wird, ich stolpere nicht einmal sehr über die wenig plastischen Figuren, weil die Dialoge humorvoll und knackig sind, weil ich trotz der Vorhersehung wissen möchte, wie es zum erwarteten Finale kommen wird.
Bei unterhaltender Literatur ist es ähnlich. Bei den Büchern, von denen ich Sätze oder gar Seiten kopiere, anderen vorlese, mir noch einmal vorlese, erfreue ich mich vor allem an den Dingen, die meine Gedankengänge von „Was ist das jetzt?“ oder „Weshalb jetzt so?“ in bloßes Staunen oder Nicken umwandeln, weil zum Beispiel eine eingeschobene Szene aus der Vogelperspektive erst merkwürdig erscheint und dann den perfekten Puzzlestein ergibt.
Bei Hörbüchern spule ich inzwischen zurück. Das ist wegen der Technik nicht immer so einfach wie beim Zurückblättern im echten Buch, aber es funktioniert und beschert mir zudem hin und wieder einen weiteren Genuss, wenn ich auf benachbarte Passagen treffe, die rückblickend in anderem Licht erscheinen.
Mich zu entscheiden fällt mir oft schwer. Da liegen die Bücherstapel, auf dem Handy warten die heruntergeladenen Hörbücher und auf dem Zettel stehen all die Serien, die sehenswert scheinen. Außerdem gelingt mir das Konsumieren nur jenseits der intensiven Schreibphasen, was vor allem den zeitlichen Umfang begrenzt. Während der schreibfreien Zeit jedoch lese, höre, schaue ich exzessiv.
Jede Geschichte, ob eher visuell oder nur zuhörend, produziert in meinem Kopf noch Stunden und Tage danach neue Welten, über die ich gern nachdenke. Das Analysieren, das Auseinandernehmen und Sezieren, aufs Handwerk konzentrieren, ist vielleicht einfach nur mein Weg, diese Geschichten zu verarbeiten. Um ganz nebenbei etwas für mein eigenes Schreiben zu lernen. - Literatur als Nahrung
11. Juli 2024
Es gibt Phasen, in denen ich wenig lese und auch selten zu Hörbüchern greife. Meistens stecke ich dann in einem eigenen Projekt und möchte mich nicht ablenken lassen. Gerade ausgefeilte Texte mit prägendem Rhythmus könnten mich dazu verleiten, es ähnlich zu versuchen – ganz unbewusst und nicht annähernd so gut. Deshalb konzentriere ich mich beim Schreiben lieber aufs Schreiben.
Dazwischen liegen die Zeiten der Notizen, Skizzen, Fragmente, des Organisierens und eben der Bücher anderer Autorinnen.Es ist Sommer und ich möchte mich erholen können, dafür sind Hörbücher bestens geeignet und ich finde sogar Spannendes, das handwerklich gut gemacht ist. Bleibe beim gewählten Autor vom Lübbe-Verlag, lausche und denke darüber nach, wie wichtig es ist, dass ich die Sprecherstimme mag. Die des Vorlesenden für ein Hörbuch, die des Lesenden auf der Bühne oder in einem Saal. Ich habe einige Hörbücher beiseite gelegt, weil ich mit der Tonhöhe, Aussprache, Betonung, nicht klarkam. Das unabhängig davon, ob der Text vom Verfasser oder einem Schauspieler eingelesen worden ist. Der Sommer ist sehr geeignet dafür, unterwegs zu sein: mit den Geschichten im Ohr oder von einer Veranstaltung zur nächsten. Ich möchte mich füllen mit Literatur, sie aufzunehmen, mich sättigen. Das Fremde verdauen, es kritisch hinterfragen, lernen. Für die kommende Phase, in der ich selbst schreibe.
Die Bücher finden nun wieder zu mir, ich lese viel und dabei darf es gern anspruchsvoll sein. Im Buch kann ich zurückblättern, einen Zettel als Markierung verwenden oder mir gleich ein paar Sätze herausschreiben. Eine Freundin liest immer mehrere Bücher parallel. Das habe ich ein paar Mal versucht, es funktionierte nicht. Ich brauche zu lange, um von einer Geschichte in eine andere zu finden, muss zurückblättern, manchmal ein ganzes Kapitel von vorn beginnen. Parallel etwas zu lesen und etwas anderes zu hören, klappt dagegen. Ich vertiefe mich also sitzend in dystopische Prosa und lausche gehend fasziniert historischen Daten, die ein anderer Autor miteinander und mit den Menschen und Anekdoten jener Epoche verwoben hat und die zum Teil ebenso aktuell wie dystopisch erscheinen. Erstes zwingt mir Lesepausen auf, weil es mich ziemlich deprimiert, wie wenig Chancen für die „kleinen Leute“ überhaupt existieren (und wie schnell Glück zerrinnt, jedenfalls bei denjenigen) und wie brutal Armut sein kann, zweites sollte ich mit vielen Pausen anhören, weil es so unendlich viele Fakten darin gibt, aber ich bin gefangen in diesem Sog. Jede Tätigkeit, die mich die Kopfhörer absetzen lässt, ärgert mich.
Das war anscheinend schon immer so. Eine Besucherin erzählte mir am Rande einer Lesung, dass sie sich gut daran erinnert, dass ich als Kind einmal aufräumen sollte – und nur das Allernötigste beiseiteschob, mich mit einem Buch aufs Bett setzte und nicht einmal aufsah, als die folgerichtige Schimpftirade begann. Ich kann mich nicht daran erinnern, weiß also auch nicht, auf welchem Planeten ich damals unterwegs gewesen bin, aber es war ganz sicher nicht das aufzuräumende Kinderzimmer. In fremden Welten zu verschwinden begeistert mich noch immer. Die in den allermeisten Fällen so fremd nicht sind: es gibt Kinder und Erwachsene, Liebe, Tod, Sehnsucht, Verzweiflung und manchmal Hoffnung. Es ist nicht wichtig für mich, ob die Pferde grün sind und ob sie fliegen können. Ich kann es: mit diesen Geschichten. - Alte und neue Texte
8. Juni 2024
Wenn mein Buch veröffentlicht worden ist, möchte ich es einem möglichst großen Publikum zeigen. So lange habe ich geschrieben, verworfen, neu formuliert, das Lektorat absolviert, immer wieder über einzelne Wörter, Zeilen, Figuren und rote Fäden nachgedacht. Das Lesen vor interessierten Zuhörern ist mein Lohn.
Vom Verkauf können eh nur wenige leben, auch die Honorare für unbekannte Schriftsteller halten sich in Grenzen. Gäste, die sich zu meiner Buchvorstellung auf den Weg machen, die näher heranrücken und nach dem Vortrag zu mir kommen, sind deshalb immens wichtig.
Schon Wochen zuvor suche ich nach Passagen, die zur jeweiligen Besucherschar passen könnten, stelle die Auszüge zusammen, übe das Sprechen.„Greta“ ist mein dritter Roman, zuvor gab es zwei andere, die sich inhaltlich und auch sprachlich unterscheiden. Zudem Anthologien, in denen ich mit kürzeren Texten vertreten bin. Für eine Lesung aus einem anderen als dem aktuellen Buch ist der Vorbereitungsaufwand wesentlich höher. Ich staune über Formulierungen, die ich doch verfasst habe, den benutzten Rhythmus, die komponierten Handlungsstränge. Obwohl es viele Dateien gibt mit erprobten Textauszügen, sitze ich nach Jahren skeptisch davor und fürchte mich vor der falschen Entscheidung. Soll ich Natur, Beziehungen oder gleich die Liebe in den Vordergrund stellen? Vor allem die Frage, was den Gast dazu bewegen könnte, das gesamte Buch lesen zu wollen, erscheint mir unlösbar.
Das Lesen üben fordert mehr Konzentration. Dazu kommt die Unsicherheit. An dem aktuellen Buch habe ich eben gerade noch intensiv gearbeitet, ich kenne es.
Vor allem deshalb greife ich bei älteren Texten in den meisten Fällen auf die Kapitel zurück, die ihre Eignung fürs Publikum bewiesen haben.Am schlimmsten und schönsten ist es dann am Tag der Veranstaltung. Schlimm ist das Zweifeln, die Aufregung, noch stärker als bei der aktuellen Geschichte. Aber dann folgen Erleichterung und Stolz: auch nach Jahren werden meine Texte verstanden und geliebt.
Ein Geschenk, für das es sich immer wieder lohnt, Akquise, Vorbereitung und Präsentation im wörtlichen Sinn durchzustehen. - Mut
12. Mai 2024
Lesungsakquise ist ein hartes Brot.
Bei großen Verlagen wird so etwas von Mitarbeitern übernommen, die Autorinnen müssen sich nur die Termine merken, das Honorar wird in einer Höhe gezahlt, von der unbekannte Autorinnen nur träumen können – und ohne Diskussion.
So jedenfalls war es einmal, inzwischen müssen auch namhafte Autorinnen, jedenfalls diejenigen außerhalb der Bestsellerlisten, um Lesungen kämpfen. Ich weiß nicht, ob wirklich weniger Menschen geistige Lektüre genießen und dafür vor die Tür gehen, ob es tatsächlich an geschwundenem Interesse liegt. Die Gespräche, die ich nach meinen Buchvorstellungen erlebe, zeugen immer von sehr viel Neugierde, Offenheit und Wertschätzung.Ich habe etliche Lesungen, endlich wieder, die letzten Jahre kümmerten so vor sich hin, und ich liebe es, Gästen etwas vorzutragen, ihnen meine Geschichten zu erzählen.
Ich beherrsche das auch, jenseits einer Performance, ich freue mich vor jeder Darbietung vor allem darauf, dieses Mucksmäuschenstille zu erleben, das der schönste Lohn für mich ist. Dass davon keine Miete gezahlt werden kann, so, wie Menschen nicht auf Dauer von Luft und Liebe leben können, sollte jedem einleuchten.Dass für kleinere Veranstalter ebenfalls ein hoher Aufwand entsteht, wenn sie Fördermittel einwerben müssen, um mich bezahlen zu können, soll nicht vergessen werden, wird von mir nie vergessen. Im Gegenteil, oft genug weise ich Vereine erst darauf hin, wo finanzielle Unterstützung beantragt werden kann. Das schließlich ist ein Fundus, aus dem sie auch für andere Vorhaben schöpfen könnten.
Die Arbeit vor einer solchen Veranstaltung findet selten Beachtung. Die Nachfragen, per Email oder Telefon, die Absagen, das Vertrösten. Der Aufschrei, weil Kosten entstehen. Für die Autorin, für Reisekosten. Dabei sind das sehr kleine Beträge, gemessen an den Berühmtheiten, und die Vorbereitung der Präsentation ist nicht weniger anstrengend für jene, die einfach nur Bücher schreiben und froh sind, dass ein Verlag sie herausgebracht hat.
Also suche ich wieder und wieder nach Orten, an denen ich aus meinen Romanen vorlesen kann, knüpfe Kontakte, frische ältere auf und im besten Fall entsteht ein Termin. Im besten Fall kommen Menschen, die Auszüge aus meinen Büchern hören wollen, die mich sehen, mit mir reden möchten über die Geschichte und vor allem über ihre Geschichten. Lesungen bieten immer auch Begegnungen und Austausch. Etwas, das viele Zuhörer woanders seltener finden.
Um das zu erhalten, wünsche ich mir mehr Mut von Veranstaltern, interessierten Besuchern auch unbekanntere Autorinnen zu präsentieren, und ich wünsche mir, dass Honorarempfehlungen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern dafür Fördermittel unbürokratisch beantragt und ausgegeben werden. Für eine vielfältige Kultur, die zwar erst nach dem (selbst harten) Brot kommt, aber dennoch unverzichtbar ist.
- Leserunde, Fazit
7. April 2024
Menschen, die ich nicht kenne, lesen mein Buch. Soweit klingt das ganz normal. Das ist es schließlich, was Autorinnen sich wünschen: dass ihr Buch gelesen wird.
In einer Leserunde ist das ein wenig anders, denn diejenigen, die lesen, wollen auch den Austausch mit derjenigen, die das verfasst hat. Die Überraschungen bleiben nicht aus. Das kannte ich bereits aus vorherigen Runden und es ist mir noch gut in Erinnerung – das dachte ich wenigstens.Es ist ein vollkommen anderer Roman und die Leseeindrücke unterscheiden sich sehr. Es geht nicht um Ost-West, ein Territorium, auf dem ich mich recht sicher fühle. Es geht plötzlich um die Geschichte der alten Dame und die der jungen Frau und darum, dass die Geschichte der jungen Frau den Leserinnen weniger gefällt. Eine Kritik, mit der ich klarkommen will, ich liebe meine Figur und finde sie selbstverständlich gelungen, ihre Handlungen sind für mich schlüssig. Für die Leserinnen offensichtlich nicht. Da spielt eigenes Erleben mit hinein, wer mag schon den Spiegel, der einem vorgehalten wird. Kann ich gut nachvollziehen. Irritierend bleibt es dennoch. Ebenso wie der sogenannte Gruppenzwang, der einem im realen Leben auch hin und wieder begegnet. Einer sagt etwas, andere schließen sich an. Der Gruppenzwang scheint dieses Mal nicht so ausgeprägt zu sein, die Gefühle der Anstrengung schon. „Anspruchsvoll“ – ja, so möchte ich schreiben. Das wird von jeder Leserin anders verkraftet.
Die Leserunde ist fast beendet und wieder einmal hat sie mich sehr viel Kraft und Zeit gekostet.
Ich freue mich darüber, dass allen Gretas Reise gefällt, sie mich am Schluss mit Sternchen belohnen. Und habe ganz nebenbei auch wieder etwas gelernt: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. - LBM 2024
20.-23. März 2024
Ein Frühlingstag im März. Während draußen noch etliche Besucher ihre Mützen präsentierten, heizte es sich wie üblich unter den Glasdächern der Messehallen schnell auf. Die Comic-Manga-Fraktion erschien mir bereits am Donnerstag doppelt so stark wie in den vergangenen Jahren, bunt, unsicher und selbstbewusst, Farbkleckse zwischen den in Schwarz Gestylten.
Mit einem eigenen aktuellen Buch auf der Messe zu sein, ist doch etwas anderes. Ich fühlte mich beschwingt, gesehen, obwohl es von Bestsellerautoren nur so wimmelte. Die Signierstunde am Verlagsstand war gut besucht, ich wurde sogar von Schülern interviewt und hoffe, sie haben eine gute Note dafür erhalten.
Das „Café Wien“ ist wieder da! Und damit unser Treffpunkt, unsere Insel inmitten des Gewühls. Mit schmackhaftem Kuchen, tollem Kaffee, freundlicher Bedienung und einem Glas Sekt – man muss sich nicht gleich betrinken, um sich wohl zu fühlen und über den Sinn des Daseins nachzudenken.
Zum Nachdenken kommt man während der Rundgänge eh nicht. Überall Programm, gegen Mittag bereits schieben sich die Menschen durch die Gänge, in denen die Frühlingsluft nicht gespürt werden kann. Erst draußen. Was für ein Aufatmen.
Gelungene Lesungen, wunderbare Gespräche, viel zu wenig Schlaf. Das gehört dazu, den Schlaf kann man zu Hause nachholen. Die Begegnungen und Diskussionen nicht, davon werde ich noch eine Weile zehren. Ich freue mich auf 2025! - Leserunde, virtuell
10. März 2024
Ich tue es wieder.
Beim ersten Roman war ich froh, auf die Unterstützung des Verlages zählen zu können, nicht nur, weil er die Bücher für die Leserunde im Internet an die ausgewählten Teilnehmerinnen versandte, sondern, weil immer jemand ansprechbar war, wenn ich nicht weiterkam. Allerdings ist das Technische nur eine Seite, und die kann man oder frau lernen. Viel schwieriger ist es inhaltlich.Ich sehe die Leserinnen nicht, ich bekomme Kommentare, die ich nicht auf Anhieb einzuordnen weiß – das geschriebene Wort ist mitunter mehrdeutig, zumal es nicht erst nach der hundertsten Überarbeitung veröffentlicht wird, sondern eher spontan. Das ist bei einer realen Lesung nicht anders, aber die Mimik, die Gestik fügen das Gesagte zu einem Bild, das mir virtuell eben fehlt.
Dennoch. Es ist ein Austausch mit Menschen, die viel und gern lesen, ihre Erwartungen und kritischen Bemerkungen loswerden können. Was sonst beim Lesen eines Buches auch selten vorkommt. Ich sitze schließlich selbst oft über einem Buch und möchte meine Hymnen und Flüche direkt an die Verfasser weitergeben – tue es dann jedoch fast nie.Für eine reale Lesung wähle ich Textabschnitte aus, die zu den Zuhörerinnen passen könnten. Ich kann mir nicht sicher sein, aber die jahrelange Erfahrung hilft sehr. Bei einer virtuellen Leserunde mit Menschen, die ich weder nach dem Alter noch nach dem Herkunftsort einschätzen kann, ist das vollkommen anders. Ich weiß noch, dass ich bei meinem zweiten Roman „Fast schon ein ganzes Leben“ erstaunt darüber war, wie stark die Halbtagsbeschäftigung von Birgit polarisierte, wie enorm wichtig es den Leserinnen war, auf die Mutter-Sohn-Beziehung einzugehen, die für mich beim Verfassen eine untergeordnete Rolle gespielt hatte.
Es ist ein Wagnis, das ich nun wieder eingehe. Immerhin haben mir mehr als dreißig Bewerbungen gezeigt, dass mein Buch viele Leserinnen interessiert. Interessieren könnte, sie kennen ja nur den Klappentext. Jemand, der meinen Roman in der Buchhandlung sieht, weiß allerdings auch nicht mehr. Also los, wovor habe ich Angst?
Vor Kritik – immer wieder und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Dahindurch muss ich nun – will ich, denn die Gespräche mit Leserinnen über einen langen Zeitraum hinweg sind tiefer und detaillierter, als sie nach einer realen Lesung sein können. Und auch ich habe mehr Zeit, mir zu überlegen, wie ich antworte. Was ich preisgeben möchte. Ja, ich freue mich auf die Runde. Zehn Bücher sind versandt worden, die ersten schon angekommen. Es wird eine aufregende Zeit werden mit jungen und älteren Frauen (soviel weiß ich schon), aus allen Teilen der Republik und sogar einem Nachbarland. Die Abschnitte sind ausgesucht, die „Scheibchen“ vorbereitet. Es kann losgehen. - Dankeschön!
21. Februar 2024
Es war ein milder Spätnachmittag an diesem 13. Februar, wir fuhren aus der neuen Heimat Potsdam in die alte Heimat Rathenow.
Mein letzter Informationsstand seitens der Stadtbibliothek lag schon einige Tage zurück, von knapp vierzig Anmeldungen war die Rede gewesen und ich freute mich sehr darüber.
Als ich die Räume betrat, waren schon sechzig Stühle gestellt worden, Regale dafür beiseite geschoben, der Tisch mit den Getränken in die Ecke verbannt worden.
Die Plätze reichten nicht.
Waren es nun siebzig oder gar achtzig Gäste, die letztlich sogar hinter Regalen einen Platz fanden und meiner ersten Lesung aus dem neuen Roman lauschten? Ich weiß es nicht, ich war viel zu aufgeregt, um mich damit zu beschäftigen, Leute zu zählen. Aber eins weiß ich genau: es war mucksmäuschenstill, während ich las, und der Applaus war sehr laut.
Die Stellen, die ich ausgewählt hatte, passten, es gab sogar den einen oder anderen kleinen Lacher. Bei all der Schwere, die dieser Roman oder besser: die erzählte Geschichte auszustrahlen vermag, wollte ich an diesem Tag der Premierenlesung vor allem feiern. Mein Buch, meine Gäste, den Auftakt für meinen dritten Roman.
Passend zur Premiere verhaspelte ich mich. Wahrscheinlich muss das so sein.
Ich hatte die ausgedruckten Blätter mit den Texten wieder und wieder verändert – bis schließlich ein Satz verlorenging. Hätte ich einfach weitergelesen, wäre es vermutlich niemandem aufgefallen – meinen Schreck dagegen musste jeder bemerken. Peinlich, aber auch das konnte meine Euphorie nicht beeinträchtigen. Es war einfach nur wunderbar.
Ich danke all jenen, die der Einladung gefolgt sind. Die den Weg aus der Nachbarschaft, aber auch aus Nauen, Wittstock und sogar Leipzig nicht gescheut haben, um dabei zu sein, den Start von „Greta“ mitzuerleben und mir das größte Geschenk zu machen, das eine Autorin sich vorstellen kann: mir so aufmerksam zuzuhören, mit mir zu lachen und zu reden, sich eine Widmung ins Buch schreiben zu lassen. Dankeschön! - Premierenlesung
19. Januar 2024
Das Datum steht fest, der Ort auch.
Ein Traum, in der Bibliothek meiner – ehemaligen – Heimatstadt zu lesen, wird sich erfüllen. Wo ich zuvor entweder Gast bei Lesungen war oder welche moderierte. Nun stehe ich selbst vorn, allein, das war mein Wunsch.
Ich suche Texte heraus, ich überlege, was ich zwischendrin erzählen kann, ich denke darüber nach, wie viel ich überhaupt vortragen kann in einer Stunde. Ich lese laut, ich lese nach Zeit – das ist alles wie immer. Nur ist es keine übliche Veranstaltung, es ist die Premiere. Kein Text hat bisher einem Publikum standhalten müssen. Das ich zum Teil kenne und doch überhaupt nicht einschätzen kann. Wie viele Ältere, wie viele Jüngere werden dort sein, was wird sie interessieren? Die erste Lesung ist so schwer, weil sie eine Premiere ist – deshalb heißt das schließlich so. Ich darf mich sogar verhaspeln, die Aufregung ist kaum zu überbieten.
Ich erinnere mich an die zweite Premiere. Ich hatte einen Auszug gewählt, der plötzlich gar nicht mehr passte. Den ich nie wieder vorgetragen habe. Wird mir das wieder passieren?
Es liegt an dem Anspruch, einfach ALLES erzählen zu wollen. Dabei ist das gar nicht notwendig. Vermutlich nicht einmal hilfreich, denn ich wünsche mir doch, dass die Gäste mein Buch komplett lesen möchten. Und nicht schon alles wissen, wenn sie nach einer Stunde wieder nach Hause gehen.
Eine Grundlage habe ich nun. Einführung der wichtigsten Figuren, etwas zum Innehalten, etwas zum Schmunzeln. Hoffe ich. Ob es gelungen ist, weiß ich erst nach der Premiere. Die glücklicherweise nur eine Lesung ist, weitere werden folgen. Mit dem Erfahrungsschatz der allerersten, das ist doch auch tröstlich.
- Das Buch in den eigenen Händen halten
17. Januar 2024
… ist auch beim dritten Roman etwas sehr Besonderes. Ich riss die Verpackung auf wie ein Westpaket – und es war schließlich auch eines, aus dem Südwesten der Republik. Schutzfolie abtrennen, aufschlagen, lesen. Das habe ich geschrieben. Es ist gedruckt worden. Mein Buch.
Die ersten Exemplare signieren – für meine Familie. Das Buch zeigen, mich weiter freuen.
Noch fehlt mir der Mut, es im Ganzen noch einmal zu lesen, ich fürchte das Auffinden der Tippfehler, die ich übersehen habe. Es sind welche drin, das steht fest.
Das ist so sicher wie das Auffinden von Fehlern in fremden Büchern. War das früher tatsächlich anders oder nur in meiner Erinnerung? In den alten Ausgaben von Christa Wolf habe ich nie einen Tippfehler gefunden – auch kein an falscher Stelle stehendes Trennungszeichen am Zeilenende. In den neueren Ausgaben schon. Wenige, damit werde ich mich nicht messen können, aber es gibt sie. Weil es weniger Lektoren und Korrektoren gibt, vermutlich, die sich das Werk anschauen. Weil ich nicht Christa Wolf bin, das auch. Es ist ein wenig traurig, aber davon möchte ich mir gerade nicht die gute Laune vertreiben lassen. Mein Buch ist da und ich liebe es.
Ich kann es kaum erwarten, das Buch präsentieren zu dürfen, Menschen, die zu meinen Lesungen kommen werden. Die schon anderes von mir gelesen haben und mir schreiben, dass sie sich auf das neue Werk freuen. Wird es der Erwartung standhalten können?
Der Zweifel wird wohl nie verschwinden.
Ich habe alles gegeben, was möglich war, in den letzten Monaten und all den Jahren davor. Der Roman ist so gut, wie er gerade sein kann. Ich streiche über den Umschlag und habe mich mit dem Hut versöhnt, den ich zuerst nicht auf dem Cover haben wollte.
Das Buch ist dicker als ich dachte, nun gut, es umfasst auch mehr Seiten als „Paule“ oder „Rot ist schön“. Kaum noch zu glauben für mich, dass es einmal mehr als 800 Seiten gewesen sind, das wäre doppelt so viel wie jetzt. Das wäre im wahrsten Sinne eine schwere Lektüre geworden. 400 Seiten sind genug und ich freue mich auf die Leser. Und alle Frauen natürlich auch. - Vorfreude ist die schönste Freude
5. Dezember 2023
Das gilt nicht nur vor Weihnachten, obwohl es in diesem Jahr für mich so passt. Und geteilte Freude ist doppelte Freude.
Das macht mir gerade am meisten Spaß: anderen vom bevorstehenden Erscheinen meines Romans „Greta“ zu berichten und die Freude darüber mit ihnen zu teilen.
Einige Emails kommen leider zurück – zu lange ist es her, dass ich mit dem Text begonnen habe, zu viele Jahre sind seit den Recherchen vergangen. Bei anderen wiederum ist die Erinnerung an mich präsent. Ich bekomme sogar Fotos zurückgeschickt und leichte Entrüstung: sie haben mich doch nicht vergessen! Alle freuen sich mit mir und diese zurückgegebene Freude lässt meine sich nicht nur verdoppeln wie in besagtem Sprichwort, sondern verzehnfachen. Mindestens.
Ich laufe jetzt schon wie auf Wolken, dabei habe ich erstens das Buch noch gar nicht in der Hand und zweitens ist das ziemlich gefährlich, weil die Wege draußen wahre Rutschbahnen sind. Winter halt. Wenigstens zwischen dem ersten und zweiten Advent, für das Wetter sind drei Wochen bis zum Fest eine lange Zeit. Schneemänner säumen die Rasenflächen, Schneebälle fliegen, das Juchzen klingt hell und laut aus den Kinderkehlen. Ich möchte am liebsten mitjuchzen, singen, tanzen. Selbst das Grau, das nach dem „Pieselschnee“ das Licht des Tages dimmt, kann mich nicht davon abhalten, fröhlich zu sein. Auch nicht die erwartete Email, der ausstehende Anruf, der Räumlichkeiten verspricht für die Premierenlesung, in diesen Tagen denke ich: alles wird sich fügen. Die anderen Stunden, die, in denen mich das Grau vor dem Fenster niederdrückt, werden auch wieder kommen, aber das kann ich gerade sehr gut fortschieben.
Ich genieße die Vorfreude.
- Rien ne va plus
12. November 2023
Nichts geht mehr – so fühlte ich mich, als ich das Manuskript nach dem erneuten Lektorat endlich abgeschickt habe. Dabei stehen die Druckfahnen noch aus. Kleine Dinge kann ich auch dann noch beheben. Größere, wie das Umstellen von Sätzen oder gar Absätzen, nicht mehr. Das ist auch gut so, es muss ja irgendwann Schluss sein mit der Überarbeitung. Ein schales Gefühl bleibt dennoch. Was, wenn ich etwas ganz Wichtiges übersehen habe?
Habe ich nicht. Ich habe das gesamte Manuskript einmal selbst eingelesen und abgehört und mir einmal vom Computer vorlesen lassen. Ich habe konzentriert gearbeitet, mir jede Seite des umfangreichen Recherchematerials noch einmal angesehen, all die Bilddateien aufgerufen, die mir Dank des Inhalts einer schwarzen Epoche Alpträume bescherten. Ich habe getan, was ich tun konnte. Das sage ich mir vor, wesentlich leichter wird mir damit allerdings auch nicht.
Das Vorlesen lassen, mit einer monotonen Computerstimme, hat sehr geholfen. Der Computer liest über Tippfehler nicht einfach hinweg, wie ich es tat, sondern findet auch fehlende „s“, ein „r“ statt „t“, ohne das vorab zu unterkringeln. Weill es diese Wörter eben auch gibt und ein Rechtschreibprogramm keine Logik prüft.
Diese neue Erfahrung – das Einlesen samt Abhören und das Laut-Vorlesen-lassen werde ich mir für kommende Texte auf jeden Fall merken. Bei diesem Manuskript habe ich das kapitelweise von Anfang an getan (das Aufsprechen), vielleicht, weil das Werk so umfangreich ist? Weil es voller Recherchematerial steckt? Ganz sicher, weil ich – beim lauten Einlesen oder spätestens beim Abhören – jedes Stolpern bemerke und dort einsetzen kann. Darüber nachdenken und passender formulieren, streichen oder umstellen.
Die üblichen letzten Schritte mit dem Suchen nach Wortwiederholungen haben mich dieses Mal echt gefordert. Aber auch das ist Vergangenheit und die Änderungen sind hoffentlich gelungen. Nun heißt es abwarten. Länger als geplant. Der Erscheinungstermin vor Weihnachten ist leider nicht mehr zu halten. Das hat mich noch einmal aus der Bahn geworfen.
Letztlich ist das Wichtigste für mich jedoch, dass der Roman erscheinen wird. Dann eben im eiskalten Winter (so es einen geben wird). „Eiseskalt“, wie Ieva sagte, ich stecke noch immer voller Romansätze und träume sogar mit ihnen. Das ist etwas Schönes, ich fühle mich aufgehoben darin, ich weiß, dass ich alles gegeben habe.
Das Cover gefällt mir und lässt mich daran denken – „erwartungsschwanger,“ auch das ein Wort aus dem Roman – wie es sein wird, das fertige Buch in den Händen zu halten. Ich freue mich darauf. Und einen neuen Raum für die Premierenlesung werde ich auch noch finden.
- Es dauert solange, wie es dauert
12. Oktober 2023
Das Lektorat kann eine sehr langwierige Sache werden. Zumal, wenn die Lektorin, an die man sich gerade erst zu gewöhnen beginnt, von einem Tag zum nächsten nicht mehr da ist. Der Verlag zwischendrin auch noch umzieht und es gefühlte Wochen dauert, bis eine neue Lektorin sich vorstellt. An die man sich auch erst einmal wieder gewöhnen muss. Will, selbstverständlich. Die grauen oder weißen Haare sprießen, es hilft nicht. Geduld gehörte noch nie zu meinen Stärken. Aber die ist von Nöten, bitter von Nöten. Mit dem Verlag, der Lektorin und nicht zuletzt mit mir selbst. Es dauert solange, wie es dauert, sagte eine alte Frau gern, das könnte Greta gewesen sein oder eine ihrer zahlreichen Vorbilder in der Realität. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die genutzten Sprichwörter schwirren in meinem Kopf herum, nachts wache ich auf und denke ausnahmsweise nicht an Schmerzen, sondern an Formulierungen, die noch eleganter sein könnten, literarischer. Ein hehres Ziel, schwer zu erreichen. Aber es wird. Jeden Tag ein bisschen besser.
Der vertraglich zugesicherte Erscheinungstermin für meinen neuen Roman ist längst vorbei, es gibt einen neuen und sogar schon einen Termin für die Premiere. Hoffentlich kann der gehalten werden!
Das Buch wäre sozusagen mein Weihnachtsgeschenk. Das Fest liegt angesichts der allerorten angebotenen Hohlfiguren und Christstollen gar nicht mehr weit entfernt. Also muss ich mich sputen und gleichzeitig zur Langsamkeit ermahnen. Satz für Satz will noch einmal konzentriert gelesen werden, geprüft. Anmerkungen der neuen Lektorin überdacht, das allein dauert manchmal zwei Tage, weil ich mich von brüsker Ablehnung erst zu Einsicht und dann zu Veränderung bewege. Oft hat sie Recht, „kill your darlings“ – leicht ist es selten. Wenigstens das Wetter spielt mit: bei pladderndem Regen laufe ich lieber durch die Wohnung und setze mich wieder, lege einen Moment die Beine hoch, denke nach. Keine Einkäufe oder Hundebesitzer lenken mich ab. Ich kann am späten Nachmittag hinausgehen, von mir aufgesprochene Kapitel im Handy-Kopfhörer und weiterarbeiten. Bis alles so geworden ist, wie ich es gerade schaffe. Bis ich zufrieden bin. Und sogar schon ein wenig Vorfreude spüren kann.
- Beim ersten Mal war alles ganz sicher anders.
22. Juli 2023
Dieser Satz könnte über fast allem stehen. Und er muss gar nicht stimmen. Verdrängt oder vergessen – unwichtig. Tatsache ist, dass mich das Lektorat gerade sehr fordert.
Es geht um den dritten Roman, den mit dem längsten Manuskript. Unter anderem muss gestrafft werden. Dabei habe ich das schon vor Jahren getan. Ursprünglich waren es knapp achthundert Seiten, davon habe ich etwa dreihundert gestrichen. Gestrichen ist nicht gleichbedeutend mit gestrafft, aber immerhin. Einschließlich der sehr umfangreichen Nachforschungen und Reisen von einem Archiv zum nächsten hat das gedruckte Buch bereits elf Jahre auf dem Buckel, wenn es im Herbst erscheint. Was selbstverständlich nicht auf dem Buchrücken stehen wird.
So viel Recherche verleitet dazu, dann auch ALLES verwenden zu wollen. „Kill your darlings“ gilt nicht nur für Adjektive.
Das sagt sich leicht, ist aber schwer getan. Ich habe mich jahrelang durch eingestaubte Akten gewühlt, mir stundenlanges Sitzen vor Microfiches-Lesegeräten angetan, samt des körperlichen Unwohlseins wegen der Inhalte – das will doch verarbeitet werden!
Will schon, muss eben nicht. Mir tut es leid um all das nicht verwendete Material. Mir ist aber auch klar, dass man Leser mit Informationen erschlagen kann. Und gestorben wird im Roman eh schon zu viel.
Dazu die Crux mit den Zeitformen. Bei einer Figur, die sich dauernd erinnert, eine sehr wichtige Sache. Die mich dann und wann zur Verzweiflung bringt. Mir ist schließlich alles klar. Wer wann wo was tut und auch warum. Oder weshalb.
Das Hocken am Rechner ist das Schlimmste. Schreiben kann ich auch im Kopf – beim Spazieren, Wandern, Schwimmen – überarbeiten nur sitzend. Nach viel zu kurzer Zeit ist mein Kopf zudem wie leergefegt. Die simpelsten Wörter fallen mir nicht mehr ein. Ich klicke auf „Synonyme“ und ahne bereits, dass das gesuchte Wort dort nicht zu finden sein wird.
Um mich herum liegen einige der Materialien ausgebreitet, zur Sicherheit. Benötige ich einen Begriff, ein Datum, kann ich so schnell nachschlagen. Denkste. Das, was ich dringend brauche zum Abgleich des Textes, steckt in einem der anderen Ordner, Sammelmappen oder Kisten und garantiert nicht in dem Stapel, den ich bereit gelegt habe.
An manchen Tagen habe ich das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Es gibt glücklicherweise auch die anderen. Die, an denen ich beinahe euphorisch den Text durchforste und mit sicherem Blick nicht nur Wortwiederholungen, sondern auch Unstimmigkeiten entdecke.
Für gute und schlechte Tage ist ein Lektorat von großer Bedeutung. Jemanden zu haben, der nicht nur als Fremder den Text liest, sondern das Manuskript sehr genau unter seine Lupe nimmt. Selbst ist man immer betriebsblind. Dagegen kann man wenig tun.
Das Manuskript lag zwischendurch immer mal wieder in der Schublade. Es hatte Zeit zu reifen und ich denke, das hat ihm gut getan. Ich lese ein Kapitel und stelle fest, dass es viel besser ist als ich es in Erinnerung habe. Da steht mittendrin eine neue Szene, eine bildhafte Erläuterung, die ich erst vor drei Jahren hineingeschrieben habe. Wunderbar. Diese Momente der Freude helfen mir. Sie ermuntern mich. Ich kann nicht sagen, die wievielte Überarbeitung es nun ist, aber es ist die letzte. Dann werden andere den Text in der Halt halten und er muss perfekt sein. So perfekt, wie ich es gerade kann. Ich bin dabei nicht allein. Für mich ist das Lektorat ein Lernprozess. Mag sein, dass ich dieses oder jenes schon einmal wusste, schon korrekt anwenden konnte. Eine Frage, eine Anmerkung, ein Gespräch helfen mir auf die Sprünge – mir und dem Text.
Das ist gar nicht anders gewesen beim ersten Mal. Und ändert sich vermutlich nie.
- Jedes in die Hand nehmen
16. Juni 2023
Ein Umzug ist für Bücherfreunde besonders anstrengend. Es gibt aber auch eine sehr schöne Seite: man (oder ich jedenfalls) nimmt jedes Buch einmal in die Hand. Blättert drin, liest sich fest oder fragt sich, weshalb in aller Welt gerade dieses Buch noch da ist. Ich habe mir die Kinderbücher vorgenommen. Kopfschüttelnd immer wieder eins zur Seite gelegt. Bei den modernen finde ich kaum etwas, das mich begeistert – aber alle aus meiner Kindheit sind wahrlich nicht zu gebrauchen. Das liegt nicht an der veränderten Zeit, sondern daran, dass mir die Geschichten nicht gefallen. Die von damals und die heutigen. Ich lese sie kritisch und möchte sie lektorieren. Oder komplett umschreiben. Ich mag sie nicht einmal in die Wühlkiste der Bibliothek legen, weil ich sie keinem Kind zumuten möchte. Bücher wirft man nicht weg! Doch. Was sollte ich sonst damit tun? Es bleiben so schon viel zu viele Bücher, die ich nie wieder lesen werde. Auch dann nicht, wenn mir fünfzig zusätzliche Jahre geschenkt werden würden.
Weil ich nicht jedes Buch, das ich nun zur Hand nehme, komplett lesen kann, halte ich es wie in den Buchläden oder Bibliotheken bei fremden: ich lese den ersten Absatz und schlage das Buch mittendrin für einen weiteren Absatz (oder auch zwei) auf. Gefällt es mir, kommt es auf den Stapel: sollte ich lesen. Gefällt es mir gar nicht, wird es aussortiert. Bei Büchern für Erwachsene scheue ich mich nicht, diese in die Kramkiste zu tun. Geschmäcker sind nun mal verschieden und Ansprüche auch.
Ich habe nun weniger Stellfläche für Bücher und schwitze beim Einsortieren. Letztlich kommen jeweils zwei hintereinander, bei schmalen Büchern funktioniert das. Es gefällt mir nicht, weil ich die hintere Reihe nicht einsehen kann und vermutlich schon nach einer Woche nicht mehr weiß, welche Werke ich dorthin gestellt habe. Eine andere Möglichkeit sehe ich gerade nicht, denn die Bücher in den Umzugskisten zu belassen, ist keine Lösung. Außerdem sehe ich sie dort auch nicht. Beim Einräumen allerdings fallen mir dann doch wieder Bücher in die Hände, bei denen ich nicht weiß, weshalb ich sie aufheben sollte. Das ist schon mal ein Anfang. Ich werde also Ausschau halten nach umfunktionierten Telefonzellen und Kramkisten in Bibliotheken. Weggeworfen wird nur im Notfall. Bei den meisten Büchern, die ich nicht mehr mag, ist es zum Glück keiner.