• Literatur als Nahrung

    11. Juli 2024

    Es gibt Phasen, in denen ich wenig lese und auch selten zu Hörbüchern greife. Meistens stecke ich dann in einem eigenen Projekt und möchte mich nicht ablenken lassen. Gerade ausgefeilte Texte mit prägendem Rhythmus könnten mich dazu verleiten, es ähnlich zu versuchen – ganz unbewusst und nicht annähernd so gut. Deshalb konzentriere ich mich beim Schreiben lieber aufs Schreiben.
    Dazwischen liegen die Zeiten der Notizen, Skizzen, Fragmente, des Organisierens und eben der Bücher anderer Autorinnen.

    Es ist Sommer und ich möchte mich erholen können, dafür sind Hörbücher bestens geeignet und ich finde sogar Spannendes, das handwerklich gut gemacht ist. Bleibe beim gewählten Autor vom Lübbe-Verlag, lausche und denke darüber nach, wie wichtig es ist, dass ich die Sprecherstimme mag. Die des Vorlesenden für ein Hörbuch, die des Lesenden auf der Bühne oder in einem Saal. Ich habe einige Hörbücher beiseite gelegt, weil ich mit der Tonhöhe, Aussprache, Betonung, nicht klarkam. Das unabhängig davon, ob der Text vom Verfasser oder einem Schauspieler eingelesen worden ist. Der Sommer ist sehr geeignet dafür, unterwegs zu sein: mit den Geschichten im Ohr oder von einer Veranstaltung zur nächsten. Ich möchte mich füllen mit Literatur, sie aufzunehmen, mich sättigen. Das Fremde verdauen, es kritisch hinterfragen, lernen. Für die kommende Phase, in der ich selbst schreibe.

    Die Bücher finden nun wieder zu mir, ich lese viel und dabei darf es gern anspruchsvoll sein. Im Buch kann ich zurückblättern, einen Zettel als Markierung verwenden oder mir gleich ein paar Sätze herausschreiben. Eine Freundin liest immer mehrere Bücher parallel. Das habe ich ein paar Mal versucht, es funktionierte nicht. Ich brauche zu lange, um von einer Geschichte in eine andere zu finden, muss zurückblättern, manchmal ein ganzes Kapitel von vorn beginnen. Parallel etwas zu lesen und etwas anderes zu hören, klappt dagegen. Ich vertiefe mich also sitzend in dystopische Prosa und lausche gehend fasziniert historischen Daten, die ein anderer Autor miteinander und mit den Menschen und Anekdoten jener Epoche verwoben hat und die zum Teil ebenso aktuell wie dystopisch erscheinen. Erstes zwingt mir Lesepausen auf, weil es mich ziemlich deprimiert, wie wenig Chancen für die „kleinen Leute“ überhaupt existieren (und wie schnell Glück zerrinnt, jedenfalls bei denjenigen) und wie brutal Armut sein kann, zweites sollte ich mit vielen Pausen anhören, weil es so unendlich viele Fakten darin gibt, aber ich bin gefangen in diesem Sog. Jede Tätigkeit, die mich die Kopfhörer absetzen lässt, ärgert mich.
    Das war anscheinend schon immer so. Eine Besucherin erzählte mir am Rande einer Lesung, dass sie sich gut daran erinnert, dass ich als Kind einmal aufräumen sollte – und nur das Allernötigste beiseiteschob, mich mit einem Buch aufs Bett setzte und nicht einmal aufsah, als die folgerichtige Schimpftirade begann. Ich kann mich nicht daran erinnern, weiß also auch nicht, auf welchem Planeten ich damals unterwegs gewesen bin, aber es war ganz sicher nicht das aufzuräumende Kinderzimmer. In fremden Welten zu verschwinden begeistert mich noch immer. Die in den allermeisten Fällen so fremd nicht sind: es gibt Kinder und Erwachsene, Liebe, Tod, Sehnsucht, Verzweiflung und manchmal Hoffnung. Es ist nicht wichtig für mich, ob die Pferde grün sind und ob sie fliegen können. Ich kann es: mit diesen Geschichten.

  • Alte und neue Texte

    8. Juni 2024

    Wenn mein Buch veröffentlicht worden ist, möchte ich es einem möglichst großen Publikum zeigen. So lange habe ich geschrieben, verworfen, neu formuliert, das Lektorat absolviert, immer wieder über einzelne Wörter, Zeilen, Figuren und rote Fäden nachgedacht. Das Lesen vor interessierten Zuhörern ist mein Lohn.
    Vom Verkauf können eh nur wenige leben, auch die Honorare für unbekannte Schriftsteller halten sich in Grenzen. Gäste, die sich zu meiner Buchvorstellung auf den Weg machen, die näher heranrücken und nach dem Vortrag zu mir kommen, sind deshalb immens wichtig.
    Schon Wochen zuvor suche ich nach Passagen, die zur jeweiligen Besucherschar passen könnten, stelle die Auszüge zusammen, übe das Sprechen.

    „Greta“ ist mein dritter Roman, zuvor gab es zwei andere, die sich inhaltlich und auch sprachlich unterscheiden. Zudem Anthologien, in denen ich mit kürzeren Texten vertreten bin. Für eine Lesung aus einem anderen als dem aktuellen Buch ist der Vorbereitungsaufwand wesentlich höher. Ich staune über Formulierungen, die ich doch verfasst habe, den benutzten Rhythmus, die komponierten Handlungsstränge. Obwohl es viele Dateien gibt mit erprobten Textauszügen, sitze ich nach Jahren skeptisch davor und fürchte mich vor der falschen Entscheidung. Soll ich Natur, Beziehungen oder gleich die Liebe in den Vordergrund stellen? Vor allem die Frage, was den Gast dazu bewegen könnte, das gesamte Buch lesen zu wollen, erscheint mir unlösbar.

    Das Lesen üben fordert mehr Konzentration. Dazu kommt die Unsicherheit. An dem aktuellen Buch habe ich eben gerade noch intensiv gearbeitet, ich kenne es.
    Vor allem deshalb greife ich bei älteren Texten in den meisten Fällen auf die Kapitel zurück, die ihre Eignung fürs Publikum bewiesen haben.

    Am schlimmsten und schönsten ist es dann am Tag der Veranstaltung. Schlimm ist das Zweifeln, die Aufregung, noch stärker als bei der aktuellen Geschichte. Aber dann folgen Erleichterung und Stolz: auch nach Jahren werden meine Texte verstanden und geliebt.
    Ein Geschenk, für das es sich immer wieder lohnt, Akquise, Vorbereitung und Präsentation im wörtlichen Sinn durchzustehen.

  • Mut

    12. Mai 2024

    Lesungsakquise ist ein hartes Brot.
    Bei großen Verlagen wird so etwas von Mitarbeitern übernommen, die Autorinnen müssen sich nur die Termine merken, das Honorar wird in einer Höhe gezahlt, von der unbekannte Autorinnen nur träumen können – und ohne Diskussion.
    So jedenfalls war es einmal, inzwischen müssen auch namhafte Autorinnen, jedenfalls diejenigen außerhalb der Bestsellerlisten, um Lesungen kämpfen. Ich weiß nicht, ob wirklich weniger Menschen geistige Lektüre genießen und dafür vor die Tür gehen, ob es tatsächlich an geschwundenem Interesse liegt. Die Gespräche, die ich nach meinen Buchvorstellungen erlebe, zeugen immer von sehr viel Neugierde, Offenheit und Wertschätzung.

    Ich habe etliche Lesungen, endlich wieder, die letzten Jahre kümmerten so vor sich hin, und ich liebe es, Gästen etwas vorzutragen, ihnen meine Geschichten zu erzählen.
    Ich beherrsche das auch, jenseits einer Performance, ich freue mich vor jeder Darbietung vor allem darauf, dieses Mucksmäuschenstille zu erleben, das der schönste Lohn für mich ist. Dass davon keine Miete gezahlt werden kann, so, wie Menschen nicht auf Dauer von Luft und Liebe leben können, sollte jedem einleuchten.

    Dass für kleinere Veranstalter ebenfalls ein hoher Aufwand entsteht, wenn sie Fördermittel einwerben müssen, um mich bezahlen zu können, soll nicht vergessen werden, wird von mir nie vergessen. Im Gegenteil, oft genug weise ich Vereine erst darauf hin, wo finanzielle Unterstützung beantragt werden kann. Das schließlich ist ein Fundus, aus dem sie auch für andere Vorhaben schöpfen könnten.

    Die Arbeit vor einer solchen Veranstaltung findet selten Beachtung. Die Nachfragen, per Email oder Telefon, die Absagen, das Vertrösten. Der Aufschrei, weil Kosten entstehen. Für die Autorin, für Reisekosten. Dabei sind das sehr kleine Beträge, gemessen an den Berühmtheiten, und die Vorbereitung der Präsentation ist nicht weniger anstrengend für jene, die einfach nur Bücher schreiben und froh sind, dass ein Verlag sie herausgebracht hat.

    Also suche ich wieder und wieder nach Orten, an denen ich aus meinen Romanen vorlesen kann, knüpfe Kontakte, frische ältere auf und im besten Fall entsteht ein Termin. Im besten Fall kommen Menschen, die Auszüge aus meinen Büchern hören wollen, die mich sehen, mit mir reden möchten über die Geschichte und vor allem über ihre Geschichten. Lesungen bieten immer auch Begegnungen und Austausch. Etwas, das viele Zuhörer woanders seltener finden.

    Um das zu erhalten, wünsche ich mir mehr Mut von Veranstaltern, interessierten Besuchern auch unbekanntere Autorinnen zu präsentieren, und ich wünsche mir, dass Honorarempfehlungen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern dafür Fördermittel unbürokratisch beantragt und ausgegeben werden. Für eine vielfältige Kultur, die zwar erst nach dem (selbst harten) Brot kommt, aber dennoch unverzichtbar ist.

  • Leserunde, Fazit

    7. April 2024

    Menschen, die ich nicht kenne, lesen mein Buch. Soweit klingt das ganz normal. Das ist es schließlich, was Autorinnen sich wünschen: dass ihr Buch gelesen wird.
    In einer Leserunde ist das ein wenig anders, denn diejenigen, die lesen, wollen auch den Austausch mit derjenigen, die das verfasst hat. Die Überraschungen bleiben nicht aus. Das kannte ich bereits aus vorherigen Runden und es ist mir noch gut in Erinnerung – das dachte ich wenigstens.

    Es ist ein vollkommen anderer Roman und die Leseeindrücke unterscheiden sich sehr. Es geht nicht um Ost-West, ein Territorium, auf dem ich mich recht sicher fühle. Es geht plötzlich um die Geschichte der alten Dame und die der jungen Frau und darum, dass die Geschichte der jungen Frau den Leserinnen weniger gefällt. Eine Kritik, mit der ich klarkommen will, ich liebe meine Figur und finde sie selbstverständlich gelungen, ihre Handlungen sind für mich schlüssig. Für die Leserinnen offensichtlich nicht. Da spielt eigenes Erleben mit hinein, wer mag schon den Spiegel, der einem vorgehalten wird. Kann ich gut nachvollziehen. Irritierend bleibt es dennoch. Ebenso wie der sogenannte Gruppenzwang, der einem im realen Leben auch hin und wieder begegnet. Einer sagt etwas, andere schließen sich an. Der Gruppenzwang scheint dieses Mal nicht so ausgeprägt zu sein, die Gefühle der Anstrengung schon. „Anspruchsvoll“ – ja, so möchte ich schreiben. Das wird von jeder Leserin anders verkraftet.

    Die Leserunde ist fast beendet und wieder einmal hat sie mich sehr viel Kraft und Zeit gekostet.
    Ich freue mich darüber, dass allen Gretas Reise gefällt, sie mich am Schluss mit Sternchen belohnen. Und habe ganz nebenbei auch wieder etwas gelernt: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.

  • LBM 2024

    20.-23. März 2024

    Ein Frühlingstag im März. Während draußen noch etliche Besucher ihre Mützen präsentierten, heizte es sich wie üblich unter den Glasdächern der Messehallen schnell auf. Die Comic-Manga-Fraktion erschien mir bereits am Donnerstag doppelt so stark wie in den vergangenen Jahren, bunt, unsicher und selbstbewusst, Farbkleckse zwischen den in Schwarz Gestylten.
    Mit einem eigenen aktuellen Buch auf der Messe zu sein, ist doch etwas anderes. Ich fühlte mich beschwingt, gesehen, obwohl es von Bestsellerautoren nur so wimmelte. Die Signierstunde am Verlagsstand war gut besucht, ich wurde sogar von Schülern interviewt und hoffe, sie haben eine gute Note dafür erhalten.
    Das „Café Wien“ ist wieder da! Und damit unser Treffpunkt, unsere Insel inmitten des Gewühls. Mit schmackhaftem Kuchen, tollem Kaffee, freundlicher Bedienung und einem Glas Sekt – man muss sich nicht gleich betrinken, um sich wohl zu fühlen und über den Sinn des Daseins nachzudenken.
    Zum Nachdenken kommt man während der Rundgänge eh nicht. Überall Programm, gegen Mittag bereits schieben sich die Menschen durch die Gänge, in denen die Frühlingsluft nicht gespürt werden kann. Erst draußen. Was für ein Aufatmen.
    Gelungene Lesungen, wunderbare Gespräche, viel zu wenig Schlaf. Das gehört dazu, den Schlaf kann man zu Hause nachholen. Die Begegnungen und Diskussionen nicht, davon werde ich noch eine Weile zehren. Ich freue mich auf 2025!

  • Leserunde, virtuell

    10. März 2024

    Ich tue es wieder.
    Beim ersten Roman war ich froh, auf die Unterstützung des Verlages zählen zu können, nicht nur, weil er die Bücher für die Leserunde im Internet an die ausgewählten Teilnehmerinnen versandte, sondern, weil immer jemand ansprechbar war, wenn ich nicht weiterkam. Allerdings ist das Technische nur eine Seite, und die kann man oder frau lernen. Viel schwieriger ist es inhaltlich.

    Ich sehe die Leserinnen nicht, ich bekomme Kommentare, die ich nicht auf Anhieb einzuordnen weiß – das geschriebene Wort ist mitunter mehrdeutig, zumal es nicht erst nach der hundertsten Überarbeitung veröffentlicht wird, sondern eher spontan. Das ist bei einer realen Lesung nicht anders, aber die Mimik, die Gestik fügen das Gesagte zu einem Bild, das mir virtuell eben fehlt.
    Dennoch. Es ist ein Austausch mit Menschen, die viel und gern lesen, ihre Erwartungen und kritischen Bemerkungen loswerden können. Was sonst beim Lesen eines Buches auch selten vorkommt. Ich sitze schließlich selbst oft über einem Buch und möchte meine Hymnen und Flüche direkt an die Verfasser weitergeben – tue es dann jedoch fast nie.

    Für eine reale Lesung wähle ich Textabschnitte aus, die zu den Zuhörerinnen passen könnten. Ich kann mir nicht sicher sein, aber die jahrelange Erfahrung hilft sehr. Bei einer virtuellen Leserunde mit Menschen, die ich weder nach dem Alter noch nach dem Herkunftsort einschätzen kann, ist das vollkommen anders. Ich weiß noch, dass ich bei meinem zweiten Roman „Fast schon ein ganzes Leben“ erstaunt darüber war, wie stark die Halbtagsbeschäftigung von Birgit polarisierte, wie enorm wichtig es den Leserinnen war, auf die Mutter-Sohn-Beziehung einzugehen, die für mich beim Verfassen eine untergeordnete Rolle gespielt hatte.

    Es ist ein Wagnis, das ich nun wieder eingehe. Immerhin haben mir mehr als dreißig Bewerbungen gezeigt, dass mein Buch viele Leserinnen interessiert. Interessieren könnte, sie kennen ja nur den Klappentext. Jemand, der meinen Roman in der Buchhandlung sieht, weiß allerdings auch nicht mehr. Also los, wovor habe ich Angst?
    Vor Kritik – immer wieder und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Dahindurch muss ich nun – will ich, denn die Gespräche mit Leserinnen über einen langen Zeitraum hinweg sind tiefer und detaillierter, als sie nach einer realen Lesung sein können. Und auch ich habe mehr Zeit, mir zu überlegen, wie ich antworte. Was ich preisgeben möchte. Ja, ich freue mich auf die Runde. Zehn Bücher sind versandt worden, die ersten schon angekommen. Es wird eine aufregende Zeit werden mit jungen und älteren Frauen (soviel weiß ich schon), aus allen Teilen der Republik und sogar einem Nachbarland. Die Abschnitte sind ausgesucht, die „Scheibchen“ vorbereitet. Es kann losgehen.

  • Dankeschön!

    21. Februar 2024

    Es war ein milder Spätnachmittag an diesem 13. Februar, wir fuhren aus der neuen Heimat Potsdam in die alte Heimat Rathenow.
    Mein letzter Informationsstand seitens der Stadtbibliothek lag schon einige Tage zurück, von knapp vierzig Anmeldungen war die Rede gewesen und ich freute mich sehr darüber.
    Als ich die Räume betrat, waren schon sechzig Stühle gestellt worden, Regale dafür beiseite geschoben, der Tisch mit den Getränken in die Ecke verbannt worden.
    Die Plätze reichten nicht.
    Waren es nun siebzig oder gar achtzig Gäste, die letztlich sogar hinter Regalen einen Platz fanden und meiner ersten Lesung aus dem neuen Roman lauschten? Ich weiß es nicht, ich war viel zu aufgeregt, um mich damit zu beschäftigen, Leute zu zählen. Aber eins weiß ich genau: es war mucksmäuschenstill, während ich las, und der Applaus war sehr laut.


    Die Stellen, die ich ausgewählt hatte, passten, es gab sogar den einen oder anderen kleinen Lacher. Bei all der Schwere, die dieser Roman oder besser: die erzählte Geschichte auszustrahlen vermag, wollte ich an diesem Tag der Premierenlesung vor allem feiern. Mein Buch, meine Gäste, den Auftakt für meinen dritten Roman.


    Passend zur Premiere verhaspelte ich mich. Wahrscheinlich muss das so sein.
    Ich hatte die ausgedruckten Blätter mit den Texten wieder und wieder verändert – bis schließlich ein Satz verlorenging. Hätte ich einfach weitergelesen, wäre es vermutlich niemandem aufgefallen – meinen Schreck dagegen musste jeder bemerken. Peinlich, aber auch das konnte meine Euphorie nicht beeinträchtigen. Es war einfach nur wunderbar.


    Ich danke all jenen, die der Einladung gefolgt sind. Die den Weg aus der Nachbarschaft, aber auch aus Nauen, Wittstock und sogar Leipzig nicht gescheut haben, um dabei zu sein, den Start von „Greta“ mitzuerleben und mir das größte Geschenk zu machen, das eine Autorin sich vorstellen kann: mir so aufmerksam zuzuhören, mit mir zu lachen und zu reden, sich eine Widmung ins Buch schreiben zu lassen. Dankeschön!

  • Premierenlesung

    19. Januar 2024

    Das Datum steht fest, der Ort auch.

    Ein Traum, in der Bibliothek meiner – ehemaligen – Heimatstadt zu lesen, wird sich erfüllen. Wo ich zuvor entweder Gast bei Lesungen war oder welche moderierte. Nun stehe ich selbst vorn, allein, das war mein Wunsch.

    Ich suche Texte heraus, ich überlege, was ich zwischendrin erzählen kann, ich denke darüber nach, wie viel ich überhaupt vortragen kann in einer Stunde. Ich lese laut, ich lese nach Zeit – das ist alles wie immer. Nur ist es keine übliche Veranstaltung, es ist die Premiere. Kein Text hat bisher einem Publikum standhalten müssen. Das ich zum Teil kenne und doch überhaupt nicht einschätzen kann. Wie viele Ältere, wie viele Jüngere werden dort sein, was wird sie interessieren? Die erste Lesung ist so schwer, weil sie eine Premiere ist – deshalb heißt das schließlich so. Ich darf mich sogar verhaspeln, die Aufregung ist kaum zu überbieten.

    Ich erinnere mich an die zweite Premiere. Ich hatte einen Auszug gewählt, der plötzlich gar nicht mehr passte. Den ich nie wieder vorgetragen habe. Wird mir das wieder passieren?

    Es liegt an dem Anspruch, einfach ALLES erzählen zu wollen. Dabei ist das gar nicht notwendig. Vermutlich nicht einmal hilfreich, denn ich wünsche mir doch, dass die Gäste mein Buch komplett lesen möchten. Und nicht schon alles wissen, wenn sie nach einer Stunde wieder nach Hause gehen.

    Eine Grundlage habe ich nun. Einführung der wichtigsten Figuren, etwas zum Innehalten, etwas zum Schmunzeln. Hoffe ich. Ob es gelungen ist, weiß ich erst nach der Premiere. Die glücklicherweise nur eine Lesung ist, weitere werden folgen. Mit dem Erfahrungsschatz der allerersten, das ist doch auch tröstlich.

  • Das Buch in den eigenen Händen halten

    17. Januar 2024

    … ist auch beim dritten Roman etwas sehr Besonderes. Ich riss die Verpackung auf wie ein Westpaket – und es war schließlich auch eines, aus dem Südwesten der Republik. Schutzfolie abtrennen, aufschlagen, lesen. Das habe ich geschrieben. Es ist gedruckt worden. Mein Buch.

    Die ersten Exemplare signieren – für meine Familie. Das Buch zeigen, mich weiter freuen.
    Noch fehlt mir der Mut, es im Ganzen noch einmal zu lesen, ich fürchte das Auffinden der Tippfehler, die ich übersehen habe. Es sind welche drin, das steht fest.
    Das ist so sicher wie das Auffinden von Fehlern in fremden Büchern. War das früher tatsächlich anders oder nur in meiner Erinnerung? In den alten Ausgaben von Christa Wolf habe ich nie einen Tippfehler gefunden – auch kein an falscher Stelle stehendes Trennungszeichen am Zeilenende. In den neueren Ausgaben schon. Wenige, damit werde ich mich nicht messen können, aber es gibt sie. Weil es weniger Lektoren und Korrektoren gibt, vermutlich, die sich das Werk anschauen. Weil ich nicht Christa Wolf bin, das auch. Es ist ein wenig traurig, aber davon möchte ich mir gerade nicht die gute Laune vertreiben lassen. Mein Buch ist da und ich liebe es.


    Ich kann es kaum erwarten, das Buch präsentieren zu dürfen, Menschen, die zu meinen Lesungen kommen werden. Die schon anderes von mir gelesen haben und mir schreiben, dass sie sich auf das neue Werk freuen. Wird es der Erwartung standhalten können?
    Der Zweifel wird wohl nie verschwinden.
    Ich habe alles gegeben, was möglich war, in den letzten Monaten und all den Jahren davor. Der Roman ist so gut, wie er gerade sein kann. Ich streiche über den Umschlag und habe mich mit dem Hut versöhnt, den ich zuerst nicht auf dem Cover haben wollte.
    Das Buch ist dicker als ich dachte, nun gut, es umfasst auch mehr Seiten als „Paule“ oder „Rot ist schön“. Kaum noch zu glauben für mich, dass es einmal mehr als 800 Seiten gewesen sind, das wäre doppelt so viel wie jetzt. Das wäre im wahrsten Sinne eine schwere Lektüre geworden. 400 Seiten sind genug und ich freue mich auf die Leser. Und alle Frauen natürlich auch.

  • Vorfreude ist die schönste Freude

    5. Dezember 2023

    Das gilt nicht nur vor Weihnachten, obwohl es in diesem Jahr für mich so passt. Und geteilte Freude ist doppelte Freude.

    Das macht mir gerade am meisten Spaß: anderen vom bevorstehenden Erscheinen meines Romans „Greta“ zu berichten und die Freude darüber mit ihnen zu teilen.

    Einige Emails kommen leider zurück – zu lange ist es her, dass ich mit dem Text begonnen habe, zu viele Jahre sind seit den Recherchen vergangen. Bei anderen wiederum ist die Erinnerung an mich präsent. Ich bekomme sogar Fotos zurückgeschickt und leichte Entrüstung: sie haben mich doch nicht vergessen! Alle freuen sich mit mir und diese zurückgegebene Freude lässt meine sich nicht nur verdoppeln wie in besagtem Sprichwort, sondern verzehnfachen. Mindestens.

    Ich laufe jetzt schon wie auf Wolken, dabei habe ich erstens das Buch noch gar nicht in der Hand und zweitens ist das ziemlich gefährlich, weil die Wege draußen wahre Rutschbahnen sind. Winter halt. Wenigstens zwischen dem ersten und zweiten Advent, für das Wetter sind drei Wochen bis zum Fest eine lange Zeit. Schneemänner säumen die Rasenflächen, Schneebälle fliegen, das Juchzen klingt hell und laut aus den Kinderkehlen. Ich möchte am liebsten mitjuchzen, singen, tanzen. Selbst das Grau, das nach dem „Pieselschnee“ das Licht des Tages dimmt, kann mich nicht davon abhalten, fröhlich zu sein. Auch nicht die erwartete Email, der ausstehende Anruf, der Räumlichkeiten verspricht für die Premierenlesung, in diesen Tagen denke ich: alles wird sich fügen. Die anderen Stunden, die, in denen mich das Grau vor dem Fenster niederdrückt, werden auch wieder kommen, aber das kann ich gerade sehr gut fortschieben.

    Ich genieße die Vorfreude.

  • Rien ne va plus

    12. November 2023

    Nichts geht mehr – so fühlte ich mich, als ich das Manuskript nach dem erneuten Lektorat endlich abgeschickt habe. Dabei stehen die Druckfahnen noch aus. Kleine Dinge kann ich auch dann noch beheben. Größere, wie das Umstellen von Sätzen oder gar Absätzen, nicht mehr. Das ist auch gut so, es muss ja irgendwann Schluss sein mit der Überarbeitung. Ein schales Gefühl bleibt dennoch. Was, wenn ich etwas ganz Wichtiges übersehen habe?

    Habe ich nicht. Ich habe das gesamte Manuskript einmal selbst eingelesen und abgehört und mir einmal vom Computer vorlesen lassen. Ich habe konzentriert gearbeitet, mir jede Seite des umfangreichen Recherchematerials noch einmal angesehen, all die Bilddateien aufgerufen, die mir Dank des Inhalts einer schwarzen Epoche Alpträume bescherten. Ich habe getan, was ich tun konnte. Das sage ich mir vor, wesentlich leichter wird mir damit allerdings auch nicht.

    Das Vorlesen lassen, mit einer monotonen Computerstimme, hat sehr geholfen. Der Computer liest über Tippfehler nicht einfach hinweg, wie ich es tat, sondern findet auch fehlende „s“, ein „r“ statt „t“, ohne das vorab zu unterkringeln. Weill es diese Wörter eben auch gibt und ein Rechtschreibprogramm keine Logik prüft.

    Diese neue Erfahrung – das Einlesen samt Abhören und das Laut-Vorlesen-lassen werde ich mir für kommende Texte auf jeden Fall merken. Bei diesem Manuskript habe ich das kapitelweise von Anfang an getan (das Aufsprechen), vielleicht, weil das Werk so umfangreich ist? Weil es voller Recherchematerial steckt? Ganz sicher, weil ich – beim lauten Einlesen oder spätestens beim Abhören – jedes Stolpern bemerke und dort einsetzen kann. Darüber nachdenken und passender formulieren, streichen oder umstellen.

    Die üblichen letzten Schritte mit dem Suchen nach Wortwiederholungen haben mich dieses Mal echt gefordert. Aber auch das ist Vergangenheit und die Änderungen sind hoffentlich gelungen. Nun heißt es abwarten. Länger als geplant. Der Erscheinungstermin vor Weihnachten ist leider nicht mehr zu halten. Das hat mich noch einmal aus der Bahn geworfen.

    Letztlich ist das Wichtigste für mich jedoch, dass der Roman erscheinen wird. Dann eben im eiskalten Winter (so es einen geben wird). „Eiseskalt“, wie Ieva sagte, ich stecke noch immer voller Romansätze und träume sogar mit ihnen. Das ist etwas Schönes, ich fühle mich aufgehoben darin, ich weiß, dass ich alles gegeben habe.

    Das Cover gefällt mir und lässt mich daran denken – „erwartungsschwanger,“ auch das ein Wort aus dem Roman – wie es sein wird, das fertige Buch in den Händen zu halten. Ich freue mich darauf. Und einen neuen Raum für die Premierenlesung werde ich auch noch finden.

  • Es dauert solange, wie es dauert

    12. Oktober 2023

    Das Lektorat kann eine sehr langwierige Sache werden. Zumal, wenn die Lektorin, an die man sich gerade erst zu gewöhnen beginnt, von einem Tag zum nächsten nicht mehr da ist. Der Verlag zwischendrin auch noch umzieht und es gefühlte Wochen dauert, bis eine neue Lektorin sich vorstellt. An die man sich auch erst einmal wieder gewöhnen muss. Will, selbstverständlich. Die grauen oder weißen Haare sprießen, es hilft nicht. Geduld gehörte noch nie zu meinen Stärken. Aber die ist von Nöten, bitter von Nöten. Mit dem Verlag, der Lektorin und nicht zuletzt mit mir selbst. Es dauert solange, wie es dauert, sagte eine alte Frau gern, das könnte Greta gewesen sein oder eine ihrer zahlreichen Vorbilder in der Realität. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die genutzten Sprichwörter schwirren in meinem Kopf herum, nachts wache ich auf und denke ausnahmsweise nicht an Schmerzen, sondern an Formulierungen, die noch eleganter sein könnten, literarischer. Ein hehres Ziel, schwer zu erreichen. Aber es wird. Jeden Tag ein bisschen besser.

    Der vertraglich zugesicherte Erscheinungstermin für meinen neuen Roman ist längst vorbei, es gibt einen neuen und sogar schon einen Termin für die Premiere. Hoffentlich kann der gehalten werden!

    Das Buch wäre sozusagen mein Weihnachtsgeschenk. Das Fest liegt angesichts der allerorten angebotenen Hohlfiguren und Christstollen gar nicht mehr weit entfernt. Also muss ich mich sputen und gleichzeitig zur Langsamkeit ermahnen. Satz für Satz will noch einmal konzentriert gelesen werden, geprüft. Anmerkungen der neuen Lektorin überdacht, das allein dauert manchmal zwei Tage, weil ich mich von brüsker Ablehnung erst zu Einsicht und dann zu Veränderung bewege. Oft hat sie Recht, „kill your darlings“ – leicht ist es selten. Wenigstens das Wetter spielt mit: bei pladderndem Regen laufe ich lieber durch die Wohnung und setze mich wieder, lege einen Moment die Beine hoch, denke nach. Keine Einkäufe oder Hundebesitzer lenken mich ab. Ich kann am späten Nachmittag hinausgehen, von mir aufgesprochene Kapitel im Handy-Kopfhörer und weiterarbeiten. Bis alles so geworden ist, wie ich es gerade schaffe. Bis ich zufrieden bin. Und sogar schon ein wenig Vorfreude spüren kann.

  • Beim ersten Mal war alles ganz sicher anders.

    22. Juli 2023

    Dieser Satz könnte über fast allem stehen. Und er muss gar nicht stimmen. Verdrängt oder vergessen – unwichtig. Tatsache ist, dass mich das Lektorat gerade sehr fordert.

    Es geht um den dritten Roman, den mit dem längsten Manuskript. Unter anderem muss gestrafft werden. Dabei habe ich das schon vor Jahren getan. Ursprünglich waren es knapp achthundert Seiten, davon habe ich etwa dreihundert gestrichen. Gestrichen ist nicht gleichbedeutend mit gestrafft, aber immerhin. Einschließlich der sehr umfangreichen Nachforschungen und Reisen von einem Archiv zum nächsten hat das gedruckte Buch bereits elf Jahre auf dem Buckel, wenn es im Herbst erscheint. Was selbstverständlich nicht auf dem Buchrücken stehen wird.

    So viel Recherche verleitet dazu, dann auch ALLES verwenden zu wollen. „Kill your darlings“ gilt nicht nur für Adjektive.

    Das sagt sich leicht, ist aber schwer getan. Ich habe mich jahrelang durch eingestaubte Akten gewühlt, mir stundenlanges Sitzen vor Microfiches-Lesegeräten angetan, samt des körperlichen Unwohlseins wegen der Inhalte – das will doch verarbeitet werden!

    Will schon, muss eben nicht. Mir tut es leid um all das nicht verwendete Material. Mir ist aber auch klar, dass man Leser mit Informationen erschlagen kann. Und gestorben wird im Roman eh schon zu viel.

    Dazu die Crux mit den Zeitformen. Bei einer Figur, die sich dauernd erinnert, eine sehr wichtige Sache. Die mich dann und wann zur Verzweiflung bringt. Mir ist schließlich alles klar. Wer wann wo was tut und auch warum. Oder weshalb.

    Das Hocken am Rechner ist das Schlimmste. Schreiben kann ich auch im Kopf – beim Spazieren, Wandern, Schwimmen – überarbeiten nur sitzend. Nach viel zu kurzer Zeit ist mein Kopf zudem wie leergefegt. Die simpelsten Wörter fallen mir nicht mehr ein. Ich klicke auf „Synonyme“ und ahne bereits, dass das gesuchte Wort dort nicht zu finden sein wird.

    Um mich herum liegen einige der Materialien ausgebreitet, zur Sicherheit. Benötige ich einen Begriff, ein Datum, kann ich so schnell nachschlagen. Denkste. Das, was ich dringend brauche zum Abgleich des Textes, steckt in einem der anderen Ordner, Sammelmappen oder Kisten und garantiert nicht in dem Stapel, den ich bereit gelegt habe.

    An manchen Tagen habe ich das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Es gibt glücklicherweise auch die anderen. Die, an denen ich beinahe euphorisch den Text durchforste und mit sicherem Blick nicht nur Wortwiederholungen, sondern auch Unstimmigkeiten entdecke.

    Für gute und schlechte Tage ist ein Lektorat von großer Bedeutung. Jemanden zu haben, der nicht nur als Fremder den Text liest, sondern das Manuskript sehr genau unter seine Lupe nimmt. Selbst ist man immer betriebsblind. Dagegen kann man wenig tun.

    Das Manuskript lag zwischendurch immer mal wieder in der Schublade. Es hatte Zeit zu reifen und ich denke, das hat ihm gut getan. Ich lese ein Kapitel und stelle fest, dass es viel besser ist als ich es in Erinnerung habe. Da steht mittendrin eine neue Szene, eine bildhafte Erläuterung, die ich erst vor drei Jahren hineingeschrieben habe. Wunderbar. Diese Momente der Freude helfen mir. Sie ermuntern mich. Ich kann nicht sagen, die wievielte Überarbeitung es nun ist, aber es ist die letzte. Dann werden andere den Text in der Halt halten und er muss perfekt sein. So perfekt, wie ich es gerade kann. Ich bin dabei nicht allein. Für mich ist das Lektorat ein Lernprozess. Mag sein, dass ich dieses oder jenes schon einmal wusste, schon korrekt anwenden konnte. Eine Frage, eine Anmerkung, ein Gespräch helfen mir auf die Sprünge – mir und dem Text.

    Das ist gar nicht anders gewesen beim ersten Mal. Und ändert sich vermutlich nie.

  • Jedes in die Hand nehmen

    16. Juni 2023

    Ein Umzug ist für Bücherfeunde besonders anstrengend. Es gibt aber auch eine sehr schöne Seite: man (oder ich jedenfalls) nimmt jedes Buch einmal in die Hand. Blättert drin, liest sich fest oder fragt sich, weshalb in aller Welt gerade dieses Buch noch da ist. Ich habe mir die Kinderbücher vorgenommen. Kopfschüttelnd immer wieder eins zur Seite gelegt. Bei den modernen finde ich kaum etwas, das mich begeistert – aber alle aus meiner Kindheit sind wahrlich nicht zu gebrauchen. Das liegt nicht an der veränderten Zeit, sondern daran, dass mir die Geschichten nicht gefallen. Die von damals und die heutigen. Ich lese sie kritisch und möchte sie lektorieren. Oder komplett umschreiben. Ich mag sie nicht einmal in die Wühlkiste der Bibliothek legen, weil ich sie keinem Kind zumuten möchte. Bücher wirft man nicht weg! Doch. Was sollte ich sonst damit tun? Es bleiben so schon viel zu viele Bücher, die ich nie wieder lesen werde. Auch dann nicht, wenn mir fünfzig zusätzliche Jahre geschenkt werden würden.

    Weil ich nicht jedes Buch, das ich nun zur Hand nehme, komplett lesen kann, halte ich es wie in den Buchläden oder Bibliotheken bei fremden: ich lese den ersten Absatz und schlage das Buch mittendrin für einen weiteren Absatz (oder auch zwei) auf. Gefällt es mir, kommt es auf den Stapel: sollte ich lesen. Gefällt es mir gar nicht, wird es aussortiert. Bei Büchern für Erwachsene scheue ich mich nicht, diese in die Kramkiste zu tun. Geschmäcker sind nun mal verschieden und Ansprüche auch.

    Ich habe nun weniger Stellfläche für Bücher und schwitze beim Einsortieren. Letztlich kommen jeweils zwei hintereinander, bei schmalen Büchern funktioniert das. Es gefällt mir nicht, weil ich die hintere Reihe nicht einsehen kann und vermutlich schon nach einer Woche nicht mehr weiß, welche Werke ich dorthin gestellt habe. Eine andere Möglichkeit sehe ich gerade nicht, denn die Bücher in den Umzugskisten zu belassen, ist keine Lösung. Außerdem sehe ich sie dort auch nicht. Beim Einräumen allerdings fallen mir dann doch wieder Bücher in die Hände, bei denen ich nicht weiß, weshalb ich sie aufheben sollte. Das ist schon mal ein Anfang. Ich werde also Ausschau halten nach umfunktionierten Telefonzellen und Kramkisten in Bibliotheken. Weggeworfen wird nur im Notfall. Bei den meisten Büchern, die ich nicht mehr mag, ist es zum Glück keiner.

  • Im Wandel der Zeiten

    13. Juni 2023

    Ich erinnere mich noch gut an meine erste Altraumwohnung. Die Räume waren hoch, mein Buchbestand erheblich und ich kaufte alles, was es vor 1990 nicht gegeben hatte. In Buchläden und Antiquariaten. Ich blätterte Kataloge durch mit Bücherregalen, die voreinander geschoben werden konnten, für die es die Leitern gleich dazu gab. Mein Vorhaben, ganze Wände mit diesen Regalen zu füllen, scheiterte am Geld. Die Bücher stapelten sich auf den Leiterregalen, die obersten Reihen staubten ein. Die Tage waren nicht nur gefüllt mit anderen Dingen, ich wusste auch nicht, ob ich die gesammelten Bücher noch einmal lesen würde. Ob ich das wollte, ganz abgesehen vom Zeitfaktor.

    Einige werden für immer bleiben, auch, wenn sie längst aus der Mode gekommen sind, es hängen Erinnerungen daran. Andere fanden ihren Weg zu Verkaufsportalen und Verkaufstischen und Antiquariaten, der Erfolg war eher spärlich. Doch nach den Jahren des Sammelns, des Wunsches, mich am liebsten ringsherum mit Bücherwänden zu umgeben, hat eine neue Sehnsucht Einzug gehalten. Die nach Raum. Nach Weite. Auch in kleinen Zimmern. Ich hatte diese Freiheit der Gedanken zum ersten Mal während eines dreimonatigen Stipendiums im Röderhof (Sachsen-Anhalt) gespürt. Die Räume waren riesig und die Wände kahl. Ideen lernten fliegen. Auch in der Mühle in Wolfenbüttel gibt es außer den Balken im Zimmer keine Ablenkung. Es gefiel mir. Nur: wie das zu Hause ändern? Es sind ja nicht nur die Bücherregale, auch etliche großformatige Bilder, Fotos, andere Erinnerungen, die die Wände füllen. Wieder begab ich mich auf die Suche nach Abnehmern. In Bibliotheken und neuerdings Bücherkisten und umfunktionierten Telefonzellen. Ich füllte Koffer und Kisten und verschenkte. Noch immer ist der Bestand groß. Zu den Erinnerungen, die mit Büchern verbunden sind, kommen Werke, die nicht mehr verlegt werden, ganze Reihen von Lieblingsautorinnen, neue Veröffentlichungen von befreundeten Autorinnen, neue Bücher für mich und neue Kinderbücher.

    Eine Freundin sagte einmal, sie würde nur dann ein neues Buch kaufen, wenn ein anderes dafür verschenkt oder anderswie verschwinden würde. Ich müsste das – um meinem Ziel nach Weite näher zu kommen – auf 1:10 ausweiten – das schafft kein Mensch. Die Bibliotheken haben volle Wühlkisten, die Telefonzellen platzen aus allen Nähten, so praktische Bücherbänke wie bei meinen Wanderungen in Südtirol sind mir zu Hause noch nicht begegnet. Es bleiben also kleine Schritte. Bis ich wieder einmal – wie vor Jahren – Pflanzen zwischen den Büchern anordnen kann, ist es noch ein weiter Weg. Ich kaufe seltener Bücher. Das ist nicht gut für uns alle, denn meine Bücher sollen schließlich auch gekauft werden. Wichtiger ist mir aber, dass sie gelesen werden – und so halte ich es mit den anderen Autorinnen auch. Glücklicherweise gibt es Bibliotheken. Dort dürfen die Bücher nicht nur bis an die Decke gestapelt werden – ich fühle mich zwischen den Regalen auch wohl. Zu Hause genieße ich die kahle Wand – auch, wenn es gerade nur eine ist.

  • LBM 2023

    27. April 2023

    Es ist hell morgens, dafür kalt wie Mitte März, dem jahrzehntelang üblichen Zeitrahmen der Leipziger Buchmesse. Einzig die blühenden Obstbäume, die kilometerlang Straßen und Fahrwege säumen, weisen auf das aktuelle Datum. Es ist Ende April und am Wochenende wird es wieder warm.

    Die Natur explodiert, wie in jedem Frühjahr, von einem zum anderen nehme ich es bewusster wahr, liegt wohl am Älterwerden.

    Am frühen Morgen im Zug zu sitzen ist ungewohnt, zwischen all den jungen Leuten, die zur Arbeit fahren und schwatzen oder ein Nickerchen halten. Ich bin hundemüde, aber zum Einnicken viel zu aufgeregt.

    In den ersten Jahren meines Schriftstellerdaseins bin ich in jedem März nach Leipzig gefahren. Mit einem Rucksack voller Manuskriptauszüge, Visitenkarten, Beutel für Gratiszeitungen. Die Beutel füllte ich, meine Texte wurde ich nicht los.

    Heute weist jeder Blogger darauf hin, dass man ohne Termin nicht bei Verlagen vorstellig werden soll und kann. An den meisten Ständen sind die Lektoren eh nicht vor Ort oder lassen sich verleugnen. Schutzmechanismus, auch vor Jahren war ich nicht die einzige mit kiloschwerem Text-Gepäck.

    Es gab dann Messen, zu denen ich gefahren bin, weil ich etliche Termine vorab vereinbaren konnte und mich mit Kolleginnen verabredete, Dozenten oder berühmte Autoren traf. Einige Male kamen eigene Lesungen dazu, auf dem Messegelände oder in der Stadt.

    Ungefragt klapperte ich nur noch die Stände der Schulbuchverlage ab, um für Flüchtlingskinder Material zu erbetteln. Diese Bittstellerei übte ich souverän und erfolgreich aus, ich tat es für andere, das war der Unterschied.

    Die Möglichkeit, auf dem Messegelände in einer Stunde zehn Lesungen zu besuchen, minutenlang zuzuhören, weiterzugehen, immer in dichtem Getümmel, immer in Bewegung, nehme ich nicht mehr wahr. Es ist eine gute Idee, wie beim Lesen auch, nach Minuten entscheiden zu können, ob mir Geschichte, Sprache, hier sogar: Vortragsweise gefallen. Ich kann mich – ohne Aufsehen zu erregen – wieder entfernen. Die zahlreichen Lesungen in all den Hallen auf dem Messegelände verleiten dazu, überall sein zu wollen, etwas aufzuschnappen, schnell ein Urteil zu bilden und weiterzuziehen. Das entspricht dem Twitter-Instagram-Zeitgeist heute noch viel mehr als vor Jahren. Mich erschöpft das. Nach einer Stunde habe ich so viele Geschichten, Schreibstile und Figuren im Kopf, als hätte ich zwanzig Trailer hintereinanderweg gesehen – und so ist es schließlich auch. Nur, dass ich dabei nicht auf dem Fernsehsessel entspanne und mittels Fernbedienung in der Hand jederzeit ausschalten könnte, sondern in den immer zu warmen gläsernen Hallen auch noch von viel zu vielen anderen Gästen eingeengt werde. Mich bedrängt fühle. Diesen körperlichen Kontakt mochte ich auf der Messe noch nie, inzwischen ist eine Grundangst hinzugekommen, die bleiben wird.

    Meine Leipziger Freundin wird später davon schwärmen, wie entspannt es an diesem Donnerstag zwischen den vielen Ständen zuging – und ich werde sie erstaunt angucken und sagen: Mir ist es schon viel zu voll.

    Noch sitze ich im Zug, dem dritten, das erste Umsteigen war ein Sprint, Treppen runter, Treppen hoch, Tür öffnen und erst dann zu schnaufen beginnen. Vor einem Zug zu stehen (heute) und den Türknopf zwar bedienen zu können, aber ohne Wirkung, und dann zuschauen zu müssen, wie die Waggons sich an mir vorbei bewegen, hilflos (heute), ist seit dem Erlebnis vor einem Jahr eine Horrorvision für mich. Früher – das im Gegensatz zum „heute“ – konnte man aufspringen, die Tür öffnen, sich setzen. Als Jugendliche jedenfalls, fraglich, bis zu welchem Alter das möglich gewesen wäre, gäbe es heute noch diese Züge – aber das ist ja das Schöne an Erinnerungen, sie zeigen einen so mobil, wie man einmal war.

    Keine Wiederholung also und das zweite Umsteigen echt entspannt. Zielbahnhof Leipzig Messe. Die Straßenbahnen stehen noch, es ist kurz nach neun und ziemlich frisch.

    Ich bin froh über meinen Presseausweis, mit dem ich nicht nur kostenfrei hinein darf, sondern auch eine halbe Stunde früher als die anderen Besucher.

    Es kann losgehen.

    Ich habe nur zwei Termine und ein paar geplante Recherchen zu Literaturzeitschriften, schließlich wollen wir als Verband selbst eine herausgeben. So viele Beutel wie früher benötige ich nicht, die Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchproduzenten sind längst nicht mehr so freigiebig.

    Der erste Termin ist ein Gespräch mit der Verlegerin zu meinem dritten Roman, der demnächst erscheinen soll. Ein kleiner Verlag am anderen Ende des Landes, so erscheint es mir manchmal, aber über die Jahre haben wir uns etwas kennengelernt und wissen, dass wir reden können. Eine gute Grundlage.

    Anschließen sollen Gespräche in unserer geliebten Oase auf dem Messegelände stattfinden, im Café Wien. Der zweite Termin verläuft jedoch nicht so erfolgreich wie der erste: das Café Wien gibt es in diesem Jahr nicht. Dabei ist Österreich doch Gastland der Leipziger Buchmesse 2023 und mit so vielen Ständen dort vertreten, dass ich auch etliche Fragen zu Literaturzeitschriften losgeworden bin.

    Das Café Europa hat geöffnet, in Ordnung, dann schwatzen wir eben dort. Und treffen andere und sehen andere und drängeln uns durch die Gänge, bis es zu dem kleinen Dialog kommt zwischen meiner Freundin und mir und ich froh bin, dass ich zum Zug gehen muss.

    Draußen hat die Sonne ganze Arbeit geleistet. Es ist warm wie in den Messehallen, aber die Wege sind leer, die Luft ist klar und ich freue mich, hier gewesen zu sein. Bis zum nächsten Jahr! Dann wieder Mitte März und vielleicht mit eigenen Lesungen.

  • Elster an der Mühle

    02. März 2023

    Vorweg: ich habe an diesem Präsenz-Wochenende Enten, Gänse, Reiher, Amseln, Spatzen und einen Eichelhäher sehen können, aber keine Elster.

    Vermutlich war ich mit meinen Gedanken zu tief im Text. Das jedenfalls war nach langer Zeit des einsamen Schreibens zu Hause wieder eine viel Adrenalin produzierende Erfahrung, die mich noch Tage später trägt. Die Füße auf feuchten Wegen am Deich entlang, den Kopf in der Geschichte, überwiegend, denn die laute Musik der Karnevalisten schob sich mit dem Wind von hinten an mich heran. Blies zurück von vorn, die Sonne wagte sich nur für Augenblicke aus der Deckung aus grauen Wolken, zauberte Spiegelbilder und wärmte Mitte Februar wie im März. Schreiben, laufen, schreiben, reden. Wieder laufen oder schreiben, dazwischen ein Vier-Sterne-Menü, Kaminfeuer und Stöbern in der besonderen Bibliothek. Schade, dafür reichte die Zeit bei Weitem nicht. Ein Grund mehr, wieder zu kommen. Die Möglichkeiten erscheinen mir endlos. Der Hof mit all seinen Nischen, zwischen Zwerghühnern und Kaninchen, fernab des Ortslärms. Oder draußen im Café zu sitzen, zwischen denjenigen, die tatsächlich nur einen Ausflug machen. Oder sich einen Schreibplatz zu suchen, der aus dicken Stämmen und selbst gezimmerten Tischplatten besteht. Oder sich am Ufer unter einer Weide zu verstecken. Den Laptop am Rastplatz beim Angelteich zu nutzen oder sich gleich auf die Holzbrücke zu setzen. Um doch noch eine Elster zu entdecken und vielleicht sogar den Eisvogel zu sehen.

  • „dranbleiben“
    15. Februar 2023

    Ein wunderbares Motto, um an einem längeren Text zu arbeiten.

    Seit Jahresbeginn bin ich wieder in einer Gruppe, drei Frauen, die im dreiwöchigen Abstand ihre Texte diskutieren und zwischendurch fleißig schreiben. Am Wochenende steht das Präsenz-Seminar an, drei Tage in einer rekonstruierten Mühle, ich bin gespannt. Vor allem freue ich mich auf die Auszeit und den Austausch. Schreiben ist doch ein sehr einsames Geschäft. Gerade, wenn man ein neues Projekt beginnt und noch nicht so genau weiß, wohin die Reise gehen soll, ist der Dialog mit Gleichgesinnten eine große Hilfe. Für mich, denn ich zähle eher zu den „Bauchschreiberinnen“. Ich bewundere und beneide Kolleginnen, die vorab Kapitel festzurren und Dramaturgie-Kurven aufzeichnen können. Ich denke dann, sie haben es leichter, das stimmt oft, aber auch nicht in jedem Fall. Ich habe einige Male probiert, mir eine Zeitschiene zu basteln, Überschriften formuliert, die das beinhalten (oder vorgeben), was im nachstehenden Kapitel passieren soll. Es hat auch schon geklappt, aber meistens schreibe ich einfach so weiter. Ob das gut oder schlecht ist, kann mich dabei gar nicht interessieren, weil das Festhalten an Vorgegebenem für mich wie eine Schranke ist. Ich stehe davor und kann sie nicht öffnen. Nur einen Umweg machen, quer über die Schienen gar, das ist nicht nur im realen Leben eine gewagte Sache.

    Also keine detaillierte Planung, nur Skizzen, Stichworte, der große Bogen, an denen ich mich entlanghangele. Bevor man nicht achtzig oder gar einhundert Seiten geschrieben hat, so wurde es mir schon gesagt, wisse man nicht, ob überhaupt ein Roman daraus werden könne. Habe ich auch schon selbst erfahren. Eine Achtzig-Seiten-Geschichte verfasst, die nicht endete, sondern einfach aufhörte. Monate und Jahre in der Schublade schmorte, bevor eine Zehn-Seiten-Kurzgeschichte daraus wurde, die veröffentlicht worden ist. Immerhin.

    „dranbleiben“ bedeutet vor allem dies: dranzubleiben, weiterzuschreiben, und aus den Anregungen der anderen Mut zu ziehen, um den Text weiter zu verfolgen. Das reizt mich an dieser Weiterbildung am meisten. Ob das irgendwann publiziert werden wird, steht in den Sternen oder nicht einmal dort, die Freude am Formulieren, am morgendlichen Tippen, am Sammeln von Ideen steht im Vordergrund. Alles andere kommt später.

  • Romanwerkstatt 2023

    25. Januar 2023

    Die Romanwerkstatt hat begonnen. Jeden Tag sitze ich am frühen Morgen und schreibe. Ein wunderbares Gefühl! Und ergiebiger als zu anderen Tageszeiten. Später prasseln die Emails, die Anrufe, der ganz normale Alltag in die Stunden und ich bin zufrieden, schon etwas zu Papier gebracht zu haben.

    Die Milchmädchenrechnung schießt immer wieder in meinen Kopf, dabei ist es eben nur ein sehr naiver Überschlag: bei einer Seite täglich habe ich in 365 Tagen ein Buch geschrieben. Klingt zu schön, um wahr zu sein, ist auch vollkommen unrealistisch. Nicht die eine Seite, die überbiete ich gern und oft, aber das Aufschreiben ist nur ein Teil der Arbeit. Der schönste, das auf jeden Fall. Zu überarbeiten ist anstrengender, als die Worte fließen zu lassen. Ich bin gefordert, Strukturen zu entwickeln und vor allem nachher auch einzuhalten, einen Spannungsbogen ernst zu nehmen. All die überflüssigen Füllwörter zu tilgen, wird der Abschluss werden. Aber noch bin ich ganz am Anfang. Der Text wächst, ich weiß noch nicht ganz genau, wohin die Reise gehen wird. Das mag ich, das hilft mir, engt meine Gedanken nicht ein.

    Wenn ich am späteren Tag laufe, denke ich über das Geschriebene nach, formuliere neue Sätze, die ich mir nicht merken werde, aber das ist unwichtig. Das Gefühl, dass es weitergehen kann, beflügelt mich. Dass ich erfahrene und wohlgesinnte Autorinnen an meiner Seite weiß, bestärkt mich darin, zu experimentieren, dass ich ihnen etwas zurückgebe, weil ich mich auf ihre Texte einlasse, rundet die Romanwerkstatt für mich ab.

    Es wird in den nächsten 340 Tagen nicht so weitergehen, leider, denke ich, aber das Leben schreibt eigene Gesetze. Es bleibt ein guter Start. Und was ich daraus machen werde, ist meine Entscheidung.

  • Schreiben zu Hause
    8. November 2022

    Mein großes Glück mit Stipendien in Künstlerhäusern schlug sich in intensiver Schreibarbeit während der Aufenthalte nieder – und darin, zu Hause nur selten soviel Text zu produzieren.

    Zuhause zu sein bedeutete Familie, Alltag. Ablenkungen und Unterbrechungen. Ob durch den Briefträger, der irgendwann mitbekommen hatte, das ich fast immer zu Hause war (bis mein Mann einen An-Aus-Schalter an das Haustelefon montierte), durch Bekannte, die mich anriefen oder penetrant agierende Werbe- und Umfragefirmen (bis ich entdeckte, dass ich auch das Festnetztelefon „stumm“ schalten konnte), durch die ganz normale Hausarbeit, die nie endet und zum Verschieben des Schreibens geradezu einlud. War ich unterwegs, schrieb ich permanent, ob nun im Kopf oder im Heft, auf dem Laptop, war ich zu Hause, kochte, buk oder putzte ich so lange, bis ich unzufrieden wurde. Manchmal dauerte es nur Tage, manchmal Wochen, aber der Drang, etwas Literarisches zu Papier zu bringen, kam. Darauf konnte ich mich verlassen.

    Das Zuhausebleiben-Müssen änderte das. Ich konnte oder wollte nicht verreisen, schrieb keine Bewerbungen, verkroch mich. Nach den ersten Wochen und sogar Monaten, in denen ich stundenlang auf steigende Kurven und Zahlen gestarrt hatte, unfähig, mich überhaupt auf den Alltag konzentrieren zu können, fuhr ich im Auto in eine Nachbarstadt. Wie wunderschön der Himmel war, die Wiesen, die Waldgrenzen, die Vögel und das blaue Flussband! Die Welt war noch da, schöner als in der Erinnerung. Schöner als erwartet. Ich begann mit kleinen Texten, die Kurven oder Zahlen nicht einmal streiften. Mir fehlten die wöchentlichen Begegnungen, das Schauen und Beobachten von Menschen, das unweigerlich in meine Texte eingeflossen war, jahrelang. Aber ich hatte mehr abgespeichert als vermutet. Ich war nun einmal zu Hause, daran würde sich so schnell nichts ändern, und ohne zu schreiben konnte ich auch nicht sein. Ich räumte meine Schreibtische auf und um und setzte mich zwischendurch mit dem Laptop auf das große Bett. Ich schrieb. Es gab Online-Seminare, ich sollte und wollte neuen Text produzieren, mein begonnenes Projekt fortsetzen. In jenem ersten Sommer schrieb ich mehr als je zuvor. Der Austausch beflügelte mich, und irgendwann glaubte ich tatsächlich daran, überall schreiben zu können. Nicht nur in der Bahn oder im Flugzeug oder in Künstlerhäusern, sondern auch am See, auf einer Bank und eben zu Hause. Es war eine wunderbare Erfahrung.

    Nun war ich von einem Aufenthalt zurückgekehrt und es begann wie immer. Ich räumte und buk und kochte und kämpfte gegen den Staub, der vier Wochen lang Zeit gehabt hatte, sich in allen Ritzen breitzumachen. Ich sortierte Fotos, kümmerte mich um Weihnachtsgeschenke, besuchte eine Lesung meiner Freundin. Und schon war sie wieder geweckt, die Freude am Schreiben. Zu Hause. Etwas anderes ist erst einmal nicht geplant und auch nicht in Sicht, es gibt sie immer noch, die Zahlen und Kurven. Sie ängstigen mich, aber sie blockieren mich nicht mehr. Während des langen Sommers in der Großstadt und der vier Wochen in Norditalien konnte ich schauen und beobachten und sammeln. Daraus kann ich jetzt schöpfen und ich freue mich darauf.