22. Juli 2023

Dieser Satz könnte über fast allem stehen. Und er muss gar nicht stimmen. Verdrängt oder vergessen – unwichtig. Tatsache ist, dass mich das Lektorat gerade sehr fordert.

Es geht um den dritten Roman, den mit dem längsten Manuskript. Unter anderem muss gestrafft werden. Dabei habe ich das schon vor Jahren getan. Ursprünglich waren es knapp achthundert Seiten, davon habe ich etwa dreihundert gestrichen. Gestrichen ist nicht gleichbedeutend mit gestrafft, aber immerhin. Einschließlich der sehr umfangreichen Nachforschungen und Reisen von einem Archiv zum nächsten hat das gedruckte Buch bereits elf Jahre auf dem Buckel, wenn es im Herbst erscheint. Was selbstverständlich nicht auf dem Buchrücken stehen wird.

So viel Recherche verleitet dazu, dann auch ALLES verwenden zu wollen. „Kill your darlings“ gilt nicht nur für Adjektive.

Das sagt sich leicht, ist aber schwer getan. Ich habe mich jahrelang durch eingestaubte Akten gewühlt, mir stundenlanges Sitzen vor Microfiches-Lesegeräten angetan, samt des körperlichen Unwohlseins wegen der Inhalte – das will doch verarbeitet werden!

Will schon, muss eben nicht. Mir tut es leid um all das nicht verwendete Material. Mir ist aber auch klar, dass man Leser mit Informationen erschlagen kann. Und gestorben wird im Roman eh schon zu viel.

Dazu die Crux mit den Zeitformen. Bei einer Figur, die sich dauernd erinnert, eine sehr wichtige Sache. Die mich dann und wann zur Verzweiflung bringt. Mir ist schließlich alles klar. Wer wann wo was tut und auch warum. Oder weshalb.

Das Hocken am Rechner ist das Schlimmste. Schreiben kann ich auch im Kopf – beim Spazieren, Wandern, Schwimmen – überarbeiten nur sitzend. Nach viel zu kurzer Zeit ist mein Kopf zudem wie leergefegt. Die simpelsten Wörter fallen mir nicht mehr ein. Ich klicke auf „Synonyme“ und ahne bereits, dass das gesuchte Wort dort nicht zu finden sein wird.

Um mich herum liegen einige der Materialien ausgebreitet, zur Sicherheit. Benötige ich einen Begriff, ein Datum, kann ich so schnell nachschlagen. Denkste. Das, was ich dringend brauche zum Abgleich des Textes, steckt in einem der anderen Ordner, Sammelmappen oder Kisten und garantiert nicht in dem Stapel, den ich bereit gelegt habe.

An manchen Tagen habe ich das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Es gibt glücklicherweise auch die anderen. Die, an denen ich beinahe euphorisch den Text durchforste und mit sicherem Blick nicht nur Wortwiederholungen, sondern auch Unstimmigkeiten entdecke.

Für gute und schlechte Tage ist ein Lektorat von großer Bedeutung. Jemanden zu haben, der nicht nur als Fremder den Text liest, sondern das Manuskript sehr genau unter seine Lupe nimmt. Selbst ist man immer betriebsblind. Dagegen kann man wenig tun.

Das Manuskript lag zwischendurch immer mal wieder in der Schublade. Es hatte Zeit zu reifen und ich denke, das hat ihm gut getan. Ich lese ein Kapitel und stelle fest, dass es viel besser ist als ich es in Erinnerung habe. Da steht mittendrin eine neue Szene, eine bildhafte Erläuterung, die ich erst vor drei Jahren hineingeschrieben habe. Wunderbar. Diese Momente der Freude helfen mir. Sie ermuntern mich. Ich kann nicht sagen, die wievielte Überarbeitung es nun ist, aber es ist die letzte. Dann werden andere den Text in der Halt halten und er muss perfekt sein. So perfekt, wie ich es gerade kann. Ich bin dabei nicht allein. Für mich ist das Lektorat ein Lernprozess. Mag sein, dass ich dieses oder jenes schon einmal wusste, schon korrekt anwenden konnte. Eine Frage, eine Anmerkung, ein Gespräch helfen mir auf die Sprünge – mir und dem Text.

Das ist gar nicht anders gewesen beim ersten Mal. Und ändert sich vermutlich nie.