02. Oktober 2022

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich vor fast zwanzig Jahren mit einem mobilen CD-Träger und „Garp“ durch die Wiesen streifte. Es gibt Orte, an denen ich genau weiß, welche der Verästelungen des Romans ich damals gehört habe. Es waren mehr als zehn CDs, zwölf oder dreizehn, glaube ich, und jede füllte etwa fünfzig Minuten.

Wie komfortabel ist es heute mit dem Handy in der Tasche, das mich sowieso auf den Wegen begleitet. Ich kann auch einen achtstündigen (zuvor heruntergeladenen) Podcast hören und tue das nur deshalb nicht hintereinander, weil ich zwischendurch die Zeit brauche, um über das Gehörte nachzudenken. Technisch wäre es kein Problem.

Das Hörbuch hat mir neue Welten eröffnet, weil ich so dicke Wälzer, wie ich sie nun höre, vermutlich nicht gelesen hätte. Und noch immer ist es so, dass ich die Wege und Blumen und neuerdings Waale vor mir sehe, wenn ich die Augen schließe und mich an die Sprecherstimme und den Inhalt erinnere. Von den „Brüdern Karamasow“, „Schuld und Sühne“, „Meister und Margarita“ über Kolumnen-Sammlungen bis zu „Daheim“ oder „Heimsuchung“ und „89/90“, dazu Titel aus aller Welt. Glücklicherweise gibt es die online-Bibliothek, unglücklicherweise wird dort vor allem der Mainstream bedient. Meistens finde ich doch noch etwas. Und manchmal darf ich mir sogar etwas wünschen. Stephen King zum Beispiel, dessen gruselige Kurzgeschichten beim Hören für mich eher zu ertragen sind als beim Lesen, und in denen ich die Text-Konstruktionen bewundere.

Das Wasser plätschert neben mir durch den Waal, ich fotografiere eine noch mit Morgentau benetzte Blüte und verstehe (hoffentlich) endlich, was „suspense“ bedeutet.

Das Hören kann das Lesen nicht ersetzen. Es ist umständlich, einen Satz oder einen Absatz im Hörbuch wiederzufinden, man kann nicht mal eben zurückblättern, und wenn man etwas anstreichen möchte, funktioniert das natürlich auch nicht. Selbst das Aufschreiben einer besonderen Formulierung ist aufwändig.

Es gibt auch Vorteile. Ich kann meine Augen entlasten, weil ich mich auf die vor allem grüne Landschaft konzentriere, und ich kann eben beides tun: laufen und Literatur genießen.

Es gibt nur wenige Gründe, die mich bei Vorhandensein eines Hörbuchs zum Buch greifen lassen: wenn die Stimme in meinen Ohren nicht passt. Weil sie zu schrill oder zu langsam ist, weil ein Schauspieler oder eine Schauspielerin sich mit einem filmischen Genre in mir festgesetzt haben und ich das nicht zusammenbringen kann mit dem vorgelesenen Text.

Und natürlich ist Lesen ein seit Kindertagen erfahrenes Stück Gemütlichkeit, verbunden mit einem Glas Tee und einem bequemen Sessel, möglich bei jedem Wetter. Dagegen kommt das Wandern nur schwer an.