- Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran Oktober 2024
Ein zweiter Aufenthalt in diesem traumhaften Appartement. Nur zwei Wochen, die ich aber gut nutzen wollte. Würden die Berge locken oder ich Ende Oktober die meiste Zeit drinnen zubringen müssen, einfach, weil es draußen ungemütlich war? Immer wieder rief ich Websiten mit der Wettervorhersage auf, die mindestens für die Hälfte der Zeit nur eins versprachen: Regen, Regen, Regen. Und dann erreichte ich Meran bei strahlendem Sonnenschein.
Das Wochenende vor dem Antritt des Stipendiums hatte ich etwas südlicher verbracht und war auf dem Sentiero della Pace gelaufen, dem Friedensweg. Über 700 Kilometer führt der Weg der Kriegsschauplätze zwischen italienischen und österreichisch-deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg, vom Stilfser Joch (das ich 2017 erwanderte) bis hinunter zum „Berg der zehntausend Toten“ Pasubio und wieder hinauf in die Dolomiten. Das konnte ich nicht meistern, mein Ziel war Rovereto, die Stadt des Friedens. Die teils in die Berge gebauten mehrstöckigen Bunker beeindruckten auch mich als Laien, wichtiger war mir jedoch, während des Laufens über heutige Kriege und vor allem den Frieden nachzudenken. Als ich schließlich unter der berühmten Friedensglocke stand, die täglich in Rovereto erklingt, war alle vorherige Anstrengung vergessen.
Meran war voller Touristen, ein mehrsprachiges Schnattern, die Weinlokale und Eisdielen gut besucht. Obwohl ich seltener italienische Sätze hörte, dachte ich an „la dolce vita“ und dass es vielleicht genau das ist, was man oder frau tun kann in dieser Zeit: das Leben und damit den Augenblick genießen.
Es blieb sonnig und warm. Zwar wurden die Nächte kühler und die Tage nach der Zeitumstellung kürzer, aber das kam mir gelegen. Bis mittags saß ich am Schreibtisch, dann ging ich wandern. Kurze Touren mit Podcast oder Hörbuch, mit Gesprächen an der Bushaltestelle oder am Waalweg. Nach dem Abendessen, das meistens schon am späten Nachmittag stattfand, setzte ich mich wieder an den Laptop. Jenseits des häuslichen Alltags konnte ich lesen, hören, schreiben – und nachdenken.
Natürlich sind zwei Wochen dafür keine lange Zeit, eine dritte Woche hätte ich mir sehr gewünscht. Aber die Begrenzung führte zu großer Intensität, ich bin zufrieden und freue mich an Kleinigkeiten: den Erklärversuchen der Bauarbeiter am Wegesrand mit Händen und Füßen, dem Durchwinken des Busfahrers, weil mein Ticket abgelaufen ist, dem Lächeln der Verkäuferin, als sie mich wiedererkennt.
Und wer weiß? Vielleicht muss ich gar nicht für immer Abschied nehmen vom Appartement.
Sind nicht aller guten Dinge drei?
- Glück mit und in Künstlerhäusern
Die aufgeführten Künstlerhäuser haben dazu beigetragen, dass ich weiter schrieb. Sie gaben mir die notwendige Zeit und die Muße dazu. Ich kenne Autorinnen, die ihren Schreibtisch in ihrem Zimmer brauchen, um konzentriert arbeiten zu können. Mich zieht es hinaus. Ich habe mit sehr viel Glück so viele Orte in Europa kennenlernen dürfen, in Zeiträumen, die jeden Urlaub sprengen würden (mein Portemonnaie sowieso), ich bin sehr dankbar dafür. Mit dem Notieren der Besonderheiten habe ich mich gern auf eine kleine Zeitreise begeben. Sollten Sie, solltest Du Fragen zu einem bestimmten Ort haben, versuche ich, weitere Auskunft zu geben. Bitte dafür das Kontaktformular nutzen.
Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran September 2022
Für Mai 2020 war ein vierwöchiger Aufenthalt in Meran vereinbart worden, nachdem die Schweizerische Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention (SGEMKO) mir das Stipendium bewilligt hatte.
Stattdessen begann eine Zeit, in der Begriffe wie: Fallzahlen/Inzidenzen, Vakzine, Krankenhausbelegung, RKI, Quarantäne und Sterblichkeit Eingang in die Alltagssprache fanden und die kleinen und größeren Skandale um fehlerhafte Abrechnungen oder den Kauf von Masken zum Tagesgeschehen gehörten. Weltweit. Eine Reise nach Italien erschien mir gefährlich.
Wieder und wieder schöpfte ich Hoffnung, verschob ich den Beginn des Aufenthaltes. Ich fürchtete mich davor, dieses Stipendium nicht antreten zu können, noch mehr allerdings fürchtete ich die Infektion.
Es wurde zum dritten Mal Sommer und ich wollte nicht mehr warten. Ich kaufte Fahrkarten, die Verträge wurden geändert, die Schlüsselübergabe abgestimmt. Und dann war ich dort, in Untermais, einem Stadtteil von Meran.
Das Appartement befindet sich im sechsten Stock, ein Mini-Fahrstuhl bringt einen nach oben, wenn man nicht Treppen steigen möchte, zwei Zimmer, Küche und Bad, ein kleiner Flur. Ein riesiger Balkon, Zugang von beiden Räumen aus. Ein Luxus, wie ich ihn in anderen Künstlerhäusern noch nicht erlebt habe.
Das großzügige Atelier in Graubünden/Schweiz ist eventuell vergleichbar, aber das gibt es nicht mehr. In Ljubljana/Slowenien war die Einraumwohnung willkommener Rückzugsort gewesen, die Zwei-Zimmer-Wohnung im Salzwedler Fachwerkhaus punktete mit einer nagelneuen Kücheneinrichtung, in Pécs/Ungarn hatte ich in einer kleinen Wohnung mit offener Küche gearbeitet und mich königlich gefühlt, hier in Meran kam ich aus dem Staunen kaum heraus. Der Blick auf die Berge, selbstverständlich, reizte mich besonders, aber auch die Wohnungseinrichtung war unglaublich. Vom Induktionsherd und der umwerfend funktionalen Kücheneinrichtung über Jalousien und Sonnenschutz, Waschmaschine und Trockner, regulierbarem Spiegel, einem breiten Bett und ausreichend Kissen und Decken, bis zum höhenverstellbaren Schreibtisch und der Nachttischlampe mit USB-Anschluss. Schränke und Tische und Stühle gab es in jedem Künstlerhaus, in unterschiedlichen Qualitäten.
Den Wäschetrockner hier würde ich vermutlich ebenso wenig nutzen wie den Geschirrspüler, den Schreibtisch stellte ich mir zuerst ein. Auch ein guter Schreibtischstuhl gehört zur Ausstattung, das ist leider selten der Fall gewesen bei anderen Aufenthalten. Alles wirkt neu, obwohl es das Appartement seit sieben Jahren gibt und bei dem steten Wechsel der Bewohner eine gewisse Abnutzung zu erwarten gewesen wäre.
Dass es mich die ersten Tage dennoch hinauszog, lag an der Umgebung und dem guten Wetter. Am frühen Morgen oder am Abend ließ es sich drinnen tatsächlich herrlich arbeiten.
Aufenthaltsstipendium Glurns/Südtirol 2017
Von Estland ging es nach Südtirol. Ich hatte in Künstlerhäusern schon einiges erlebt: Gemeinschaftsküchen fast immer, Gemeinschaftsbäder manchmal, ich hatte gedacht, dass ich damit umgehen konnte. Das Haus in Glurns war anders. Mit Spanplatten abgetrennte Räume inklusive Paletten, auf denen Matratzen lagen, zwei Personen pro kleinem Zimmer ohne einen Schrank geschweige denn Schreibtisch, oberhalb einer Werkstatt. Offen. Eine Dusche für alle, eine Toilette für alle, eine kleine Küche hinter einem Tresen, das Spülbecken dauergefüllt mit schmutzigem Geschirr. Ein großer Tisch vor dem Tresen, an dem ich nicht sitzen konnte, weil er zu hoch war. Hilfsbereite Vereinsmitglieder, die mir kaum helfen konnten: für ein solches Stipendium war ich definitiv zwanzig Jahre zu alt.
Ich hatte eine weite Anreise hinter mir, ich hatte versprochen, zur Kulturnacht zu lesen und ich hatte einen Lesungstermin in Valchava/Schweiz, ich war sogar mit dem Postbus die letzte Strecke gefahren. Ich konnte nicht sofort zurück und ich fragte mich, wie ich vier Wochen aushalten sollte. Ich hatte die „Schreibmaschine“. Und die Berge. Und die Waalwege. Solche Bewässerungskanäle kannte ich bisher nur aus Madeira, dort waren wir gern entlang gewandert. So etwas gibt es also auch in Südtirol. Und ich nutzte das. Natürlich muss man erst einmal hinauf auf so einen Waalweg, aber dann läuft es sich hervorragend. Es gibt Bänke, auf die ich mich setzte und schrieb. Und schrieb. Und schrieb. Das Haus nutzte ich überwiegend dazu, alles auf den Laptop zu übertragen, was sich tagsüber an Dateien angesammelt hatte. Ich konnte sogar einen Text in einer örtlichen Zeitung veröffentlichen und lernte sehr engagierte Künstler kennen. Ich würde beim nächsten Aufenthalt etwas genauer schauen müssen, aber das war in Ordnung. Für mein Alter und meine Prioritäten konnte ich niemanden verantwortlich machen.
Aufenthaltsstipendium Mooste/Estland 2017
Es war Mai. Und nur, weil das kommende Stipendium schon auf mich wartete, fuhr ich nur für zwei Wochen nach Estland. Mitten hinein, sozusagen, in ein Künstlerhaus auf dem Lande, unter dem Namen MoKS. Ich hatte zwei riesige Räume für mich, einen mit einem uralten Kachelofen, an einem der vielen Fenster stand der Schreibtisch. Ich recherchierte noch einmal in Tartu, das nun nicht mehr so weit entfernt war, und wanderte zum Peipussee, einem der größten Binnenseen Europas, an der estnisch-russischen Grenze gelegen. Die Gemeinschaftsküche hatte ich fast für mich allein, die gemeinsame Badnutzung hielt ich aus, die Sauna nutzte ich gern. Es gab Wanderungen mit Angestellten und Fahrten zu geschichtsträchtigen Häusern und Orten. Obwohl ich nur wenige Tage dort verbrachte, lohnte sich der Aufenthalt.
Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Salzwedel 2016
Drei Monate lang war ich Landesstipendiatin Sachsen-Anhalts. Ein ausgesprochen angenehmes Gefühl, so belohnt zu werden. Mit Presseterminen, Lesung, einer Zwei-Zimmer-Wohnung in einem alten Fachwerkhaus in der Salzwedler Altstadt. Mit einem Hof und einem zweiten Gebäude direkt an der Stadtmauer, die von Bildenden Künstlern genutzt wurde, und auf dem ich in einer Ecke Kräuter pflanzte und ein paar Blumen. Die Küche ist der schönste Raum, funktional, neu ausgestattet und riesig, im Arbeitszimmer stehen ein gläserner Schreibtisch und eine Couch und im kleinen Raum Bett und Kleiderschrank. Die Kirchenglocken schlagen alle fünfzehn Minuten, so wusste ich auch nachts, wie spät es gerade war, durch den nahen Park und entlang der Jeetze konnte ich laufen und mich entweder auf dem Hof oder auf eine der Bänke im Park setzen zum Schreiben.
Das alte Fachwerkhaus beherbergt außerdem ein Ein-Zimmer-Appartement für ehemalige Stipendiaten. Weniger luxuriös als die eigentliche Stipendiatenwohnung, dafür ein Domizil, das ich in den vergangenen Jahren mehrmals nutzen durfte. Für zwei oder vier Wochen, in denen ich so intensiv arbeiten konnte wie ich es zu Hause im Alltag nicht geschafft hätte.
Mein Beet ist inzwischen neu verlegten Pflastersteinen gewichen, aber das kann ich verschmerzen. Zwei Stunden Autofahrt oder mit der Bahn und ich bin in einer anderen Welt. Die ich kenne und wiedererkenne, in der ich mich wohlfühle und gut schreiben kann.
Aufenthaltsstipendium Kärsämäki/ Finnland 2014
Finnland hatte mich gefangen – vier Jahre zuvor. Nach Jyväskylä in das Künstlerhaus konnte ich nicht mehr, nach Järvelinna, wo meine Freundin inzwischen arbeitete, kam ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum. Ich suchte und fand: Kärsämäki. Südlich von Oulu gelegen, ein großes Haus, in dem die Angestellten des Vereins tagsüber arbeiteten und sich im Obergeschoss Zimmer für die Stipendiaten befanden. Das Bad „für alle“ störte mich nicht, denn ich war allein. In einem großen Zimmer mit Blick auf den Fluss und eine Kirche. Vor dem Haus wuchs eine meterhohe und viele Meter lange Hecke aus Aroniabüschen. Ein paar Kilometer entfernt gab es einen Waldsee. Es war sehr warm in diesem August, aber die – noch immer – mitgeführte „Schreibmaschine“ passte in jeden Rucksack und Schreib-Plätze an Flussufern, am Wegesrain oder eben am See fanden sich immer.
Am beeindruckendsten waren die Menschen. Eine ehrenamtlich tätige Frau reiste zur Versammlung aus Rovaniemi an und als sie hörte, dass ich gern den Nationalpark besuchen wolle, lud sie mich ein. Wir fuhren in ihrem Auto nach Rovaniemi, ich übernachtete bei ihr, besuchte selbstverständlich den Weihnachtsmann und wurde am Morgen von ihr zum Zug gebracht. Kemijärvi – Stadt und See – liegen bereits in Lappland und das war mein Ziel. Das Wandern bis auf den „Hexenberg“ im Pyhä-Luosto, dem ältesten Nationalpark Finnlands, war Sport und Erholung zugleich. Zurück in Rovaniemi wurde ich noch mit anderen Schriftstellerinnen und Literaturliebhaberinnen bekannt gemacht, bevor es zurück ging nach Kärsämäki.
Ob es das Haus noch gibt, weiß ich gar nicht. Schon, als ich dort war, kämpfte der Verein um den Erhalt, um Fördermittel und Finanzierungsmodelle.
InterStip des Landes Brandenburg/ Recherchestipendium 2013 bis 2014
Im Jahr 2013 erhielt ich das InterStip des Brandenburgischen Kulturministeriums und konnte für die erforderlichen Recherchen nach Polen, Estland und noch einmal nach Lettland reisen.
In Krakow wohnte ich in der renommierten Villa Decius drei Wochen lang im Monat April, der mit einem Schneetreiben begann und mit den hellgrünen Kastanienblättern für mich endete. Wenn ich nicht gerade die Umgebung erlief oder Archive besuchte, saß ich am Schreibtisch in einem geräumigen und hellen Zimmer (zwei Fenster bis zum Fußboden) und blickte auf den weitläufigen Park. Die Gemeinschaftsküche war sauber und selten überfüllt, mit allem ausgestattet, was eine Köchin erfreut. Der Park wurde mein zweiter Schreibort. Nahe dem Denkmal Chopins saß ich dann, auf einer der zahlreichen Bänke.
Es war der erste Aufenthalt, für den ich bezahlte – vom Stipendium des Landes.
Im Oktober reiste ich nach Estland. Das Haus des estnischen Schriftstellerverbandes steht im Sommer den einheimischen Autorinnen zur Verfügung, die dann auch schon mal in Familie anreisen. Das Haus steht in Käsmu, einem Ort im Naturpark Laheema, etwa siebzig Kilometer von Tallin entfernt. Da mein Gepäck nicht mit mir angekommen war, durfte ich eine Nacht in Tallin verbringen, und mein erstes Gefühl, das sich in den Weiten des Nationalparks noch verstärken sollte, war: Estland ist Finnland auf sozialistisch. Hinweise gab es allerorten auf Estnisch und Russisch, ich verstand also mehr als in Finnland, die Landschaft war sehr ähnlich, die Preise waren sehr moderat, Busfahrten kosteten nicht viel mehr als fünfzehn Jahre zuvor in der DDR.
Es gab im unteren Bereich des Hauses eine große Küche, insgesamt fünf Arbeits- und Schlaf-Räume, meiner befand sich oben und war recht klein, dafür mit einem zusätzlichen Kohleofen ausgestattet. Über den Hof gelangt man zur Sauna, die sogar eigens für mich geheizt wurde, in der Woche, als ich ganz allein im Haus war.
Ich lief und schrieb und recherchierte, und das einzige, was mich bedrückte, war der unverhohlene Hass auf alles, was Russisch war. Nicht bei allen Menschen. Fragte ich nach dem Weg, halfen die erlernten und hervorgekramten Vokabeln, aber sobald ich ein Museum betrat, schienen die Menschen vollkommen anders zu sein.
Manchmal dachte ich, das würde mir zu Hause vielleicht auch passieren, wenn ich ein ehemaliges Stasi-Gefängnis besuchen würde. Es half nur bedingt.
Die Landschaft indes war großartig, ich konnte stundenlang am Meer entlanglaufen, dann wieder durch den gepflegten Naturpark, und fuhr sogar bis nach Tartu, kurz vor der russischen Grenze. Die Recherchen und bereits in Text umgesetzten neuen Kenntnisse füllten Seite um Seite.
Für zwei Wochen reiste ich im März 2014 noch einmal nach Ventspils/Lettland und wieder traf ich die unglaublich beeindruckende alte Frau und setzte meine Recherchen fort.
Ventspils/Lettland Juni 2012/März 2014
Die Anreise nach Lettland ist ebenfalls umständlich, war sie jedenfalls bei meinen Aufenthalten. Früher gab es eine Bahnverbindung, nun musste ich von Riga aus drei Stunden mit dem Bus fahren. Ventspils war es wert. Extrem sauber, mit unglaublich vielen Spielplätzen, Parks, Grünanlagen – und natürlich dem Meer. Mit Dünen, über die man laufen darf, mit einer „Kantina“, in der es noch immer so riecht wie früher in der Betriebskantine, mit einem Markt, auf dem man frische Milch vom Fass kaufen kann und je nach Portemonnaie entscheiden, welches Stück vom frischen Lachs man in die Pfanne der Gemeinschaftsküche legt. Die Zimmer sind unterschiedlich groß, mit eigenem Bad und Blick auf den Platz oder in den Garten, es gibt eine Sauna, einen großen Kaminraum, in dem gemeinsam gegessen werden konnte (und wurde), wenn jemand für alle gekocht hatte. Oder gebacken. Oder gebraten. Es wurde viel getrunken und geredet, und wieder gefiel es mir, Vokabeln sortieren zu müssen, um mitreden zu können.
Eines Tages traf ich auf die Geschichte der Stadt und der Region, die mich seitdem nicht mehr loslässt. Deutsche Geschichte. Mitten in der ehemaligen lettischen Sowjetrepublik, die sich allerdings von einer extrem Russen hassenden Seite darbot – übertroffen worden ist das später nur noch in Estland.
Ich recherchierte, ich lernte eine fast neunzigjährige Frau kennen, die mich von einem Ort zum nächsten führte und mir berichtete, wie es vor siebzig Jahren ausgesehen habe. Sie warf all meine Pläne um. Ich begann, darüber zu schreiben, ohne zu ahnen, wie viele Jahre mich das Projekt beschäftigen würde.
Literaturhaus Paros/ Griechenland Oktober 2011
Griechenland ließ mich nicht los. Ich konnte mich nicht jedes Jahr für einen Aufenthalt auf Rhodos bewerben, also versuchte ich es auf Paros. Die Insel hatte ich gar nicht so gut in Erinnerung. Während eines Insel-Hüpfens stand sie im Schatten der beeindruckenden Nachbarinsel Naxos und ich wusste noch, dass ich in einem Fischerdorf auf Paros unglaublich gefroren hatte. Aber dann war ich in diesem kleinen Bergdorf und musste den Weg ans Meer erst einmal bewältigen. Die Zimmer waren griechisch, ein riesiger Balkon gehörte dazu und eine Gemeinschaftsküche, in der sich tatsächlich Menschen aus aller Herren Länder trafen und kochten. Und probierten, was die anderen gekocht hatten. Eine Theatergruppe aus Athen bestimmte ein paar Tage lang das Geschehen, dann zogen sie weiter. Andere Stipendiaten, die darauf aufmerksam geworden waren, dass ich Apfelsinen und Zitronen suchte, brachten täglich neue in die Küche, dazu Granatäpfel und Feigen.
Inzwischen hatte ich Wege ans Meer gefunden und blieb nicht mehr in der Macchia hängen und als ich am 8. November ins Flugzeug stieg, konnte ich auf die längste Schwimmsaison zurückblicken, auch, wenn ich am Tag zuvor nur noch kurz hineingesprungen war in die inzwischen mannshohen Wellen.
Dieses Literaturhaus gibt es heute leider nicht mehr.
Schloss Haldenstein/ Schweiz Juni 2011 und September/ Oktober 2012
Mein erster Aufenthalt in der Schweiz. Ich konnte mich an den weidenden Kühen, den Bergspitzen, über denen die Sonne aufging, dem rauschenden Wasser kaum sattsehen. Das Atelier war riesig, die Küche und das Bad waren sehr modern, trotzdem zogen mich die Berge hinaus. Ich schrieb fast ausschließlich Miniaturen, ich wollte meine kitschigen Eindrücke nicht in meine Texte lassen. Ich aß, was am Wegesrand für mich bereitlag, ich steckte mein Geld in Fahrkarten. Graubünden war viel zu groß für fünf Wochen, aber meine Liebe war geweckt.
Nach der Ermunterung des Kulturbeauftragten schickte ich wenig später eine Bewerbung los (einen Bewerb), mit einigen der Miniaturen und dem Wunsch, wiederzukommen. Eine Lesung zu organisieren. Es klappte und das reichhaltige Barstipendium, das ich zusätzlich zu vollen acht Wochen Aufenthalt erhielt, setzte ich eins zu eins in Fahrkarten um und erkundete Graubünden. Eine Lesung war für das Ende des Aufenthaltes geplant – doch statt der Miniaturen setzte ich Doris und Jana auf meine Schultern und wir wanderten durch die Berge, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, von Gletschern bis hinter die Grenze nach Lugano, wo ich endlich Hermann Hesse (oder doch nur den Örtlichkeiten) einen Besuch abstatten konnte. Zudem hatte ich mir einen großen Traum erfüllt und stand eines Nachmittags auf dem „Zauberberg“ in genau dem Zimmer, in dem Thomas Mann gearbeitet hatte.
Es wurde eine besondere Lesung, wie ich sie leider hierzulande noch nicht erlebt habe. Es gab anschließend einen Imbiss, während zu Hause der Wein vorab ausgeschenkt wird, und vielleicht auch deshalb sehr gute Gespräche.
Leider gibt es das Atelier nicht mehr als Künstlerdomizil, es wurde verkauft und ist nun eine Wohnung.
Den Kontakt hielt ich noch eine Weile und durfte fünf Jahre (und eine Buchveröffentlichung) später in Valchava lesen. Mit einem damals unglaublichen Honorar, einem vorhergehenden Abendbrot und einer beeindruckenden Moderation. Anschließend wurde ich sogar noch über die Grenze gefahren, denn zu der Zeit weilte ich zum ersten Mal in Südtirol.
Wohnung des Slowenischen Schriftstellerverbandes/ Ljubljana Januar 2011
Die Einladung des slowenischen Schriftstellerverbandes zu erhalten, bedeutete mir viel. Die Neubauwohnung war zugig, ich saß in der Küche und heizte mit dem Backofen. Nachts schlief ich mit einem Tuch um den Hals. Vor allem jedoch war ich unterwegs – mit Zügen, die alle Erinnerungen an meine Jugendzeit zurückbrachten und mich doch bis zur ungarischen Grenze und bis ans Meer brachten. Ich wanderte und staunte und schrieb.
Kulturhafen Cetate/ Rumänien 2010
Den Oktober 2010 verbrachte ich an der Donau. Einem Donauknie, auf dem feudalistisch anmutenden Hof eines berühmten rumänischen Lyrikers. Vollverpflegung bedeutete hier, dass Fisch und Fleisch nebeneinander gereicht wurden und es mittags schon Wein gab. Oft noch einen Birnenschnaps dazu, ich konnte tagelang beim Destillieren zuschauen. Auch die Gänse allerdings, die ich morgens noch schnattern gehört hatte, landeten auf den Tellern – das Bild der Küchenfrauen, wie sie die Gänseköpfe zum Abbrennen über die Gasflamme hielten, bleibt unvergessen. Aber auch das Grillen der Paprika, das Einlegen, die langen Wanderungen in den Auen, die märchenhaft anmutenden Karren, mit denen ganze Familien Brennholz für den Winter ins Dorf brachten. Und die Mäuse. Die in meinem Zimmer wohnten und sich nicht vertreiben ließen. Ich konnte sie nur mittels Plastetüte im Papierkorb fangen und hinaustragen.
Künstlerwohnung Pécs/Ungarn Januar 2010
Wieder einmal erfuhr ich großes Glück. Die Wohnung in der europäischen Kulturhauptstadt 2010 sollte eigentlich an einen Künstler aus NRW vergeben werden – nur fand sich wohl niemand. Ich hatte einen ungarischen Autor im Sommer zuvor in Lettland kennengelernt – ohne zu wissen, dass dieser nun in der Jury sitzen würde. Und mich fragte, ob ich an dem Aufenthalt in Pécs interessiert wäre. Natürlich!
So bewohnte ich vier Winterwochen lang das kleine Appartement und schrieb an meinem ersten Roman, der letztlich als zweiter veröffentlicht werden sollte. Ich besuchte die Eröffnungsveranstaltung zur europäischen Kulturhauptstadt, staunte über Kirchen, die im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlichen Religionen ein Dach geboten hatten, notierte Eindrücke aus der Stadt und dem Land und verfasste Texte, die auch in das Jahrbuch Pécs Eingang fanden. Zum Abschluss gönnte ich mir vom großzügigen Stipendium zwei Tage in Budapest, genoss die Bahnfahrt in „sozialistischen“ Zügen und stapfte durch meterhohen Schnee zur Burg hinauf.
Ich hatte Ungarn zuvor nie besucht und lernte – verglichen mit vielen DDR-Bürgern, die Urlaube hier verbracht hatten – auch ein verändertes Land kennen. Den Balaton habe ich nur von Ferne gesehen, die Schneefülle war untypisch, aber ich bin sehr froh, diese Chance des Stipendiums genutzt zu haben.
Künstlerwohnung Soltau 2009/ 2012/ 2016
Der Weg nach Soltau war schneeverweht und sehr lang. Dafür empfing mich ein Appartement unterm Dach, gleich neben der Bibliothek. Eine Mini-Küche, ein kleines Bad – und ein riesiger Raum zum Arbeiten. Das Mühlrad rauschte (in den ersten Nächten sehr störend), ich konnte lesen und schreiben und vor mich hinträumen, hinausgehen und laufen, ungezählte Winterfotos schießen und mich mit etlichen Hunden anfreunden. Zum Stipendium gehört eine Lesung, diese nicht organisieren zu müssen, sondern einfach nach unten zu gehen, war fantastisch. Ich genoss die Wochenmärkte in der Stadt, die Torten im Café und die besondere Betreuung durch die verantwortlichen Vereinsmitglieder.
Obwohl die Anreise (nicht nur wegen des Wetters) umständlich war, wäre ich gern jedes Jahr oder jedes zweite Jahr wiedergekommen. Aber inzwischen hatte sich wohl herumgesprochen, wie gut es sich unterm Dach arbeiten ließ und natürlich gönnte ich anderen diese Erfahrung auch.
Writers in ressidence Jyväskylä/ Finnland 2008
Vom griechischen Frühsommer ging es wenig später in den finnischen Sommer. Die Mückenplage habe ich glücklicherweise verpasst. Dafür fand ich in einer Aushilfsangestellten eine Freundin, mit der mich heute noch viel mehr verbindet als diese unaussprechliche Stadt mit den zahlreichen unaussprechlichen Seen. Das Künstlerhaus hatte einen Gartenbereich und einen großen Konferenzraum, in dem auch Lesungen stattfanden. Das Zimmer, das mir zur Verfügung gestellt wurde, war nicht nur spartanisch eingerichtet, sondern extrem schmal. Für mich war der Raum nicht zum Arbeiten geeignet, das Bad teilte ich mit zwei anderen Stipendiaten, an die Preise in den Geschäften musste ich mich erst gewöhnen, Gaststätten mied ich. Glücklicherweise gab es die Natur kostenlos, dafür in einer berauschenden Fülle. Ich umrundete die Seen, badete, setzte mich ans Ufer und schrieb. Finnland hatte mich gefangen.
Das Haus wurde inzwischen verkauft.
IWTC Rhodos 2008/2010/2014/2018/2019
Und dann war es soweit: sechs Wochen Frühsommer unter griechischer Sonne!
Rhodos sollte eine meiner Schreibheimaten werden. Ich kannte einige griechische Inseln, ich liebte die Landschaften, das Meer sowieso, die Menschen. Nach Rhodos wäre ich im Urlaub nicht gereist, viel zu touristisch dort. Der Frühsommer war perfekt. In den folgenden Jahren schaffte ich es sogar einmal, Mitte Februar anzureisen. Nur zweimal konnten es sechs Wochen sein, sonst weniger, und nicht jedes Jahr wurde ich eingeladen. Aber immer dann, wenn die ersten Kreuzfahrtschiffe im Hafen anlandeten und die Strände sich mit Sonnenliegen füllten, flog ich zurück.
Das altehrwürdige Gebäude hoch oben (wohin man auch den Koffer ziehen muss, sofern man nicht ein Taxi bemüht) kann bist zu fünfzehn Stipendiaten aufnehmen. Ausschließlich Schriftstellerinnen und Übersetzerinnen, das war etwas Neues für mich. Es war hervorragend.
Die Zimmer waren griechisch spartanisch eingerichtet, ein Kühlschrank stand darin (dessen Gebrumme mich meistens störte, aber selbst daran kann man sich gewöhnen), ein Schreibtisch, ein Bett. Die Gemeinschaftsküche hatte ich – sofern das Haus nicht ausgebucht war – überwiegend für mich allein. Das Wichtigste, was man – auch, wenn ich das Deutsche nicht gern hervorkehre – sich abgewöhnen muss, ist, ständig zu putzen. Damit wird man nämlich nicht fertig und verschwendet Zeit. Mein Frühstück nahm ich gern auf der Treppe sitzend ein – und schaute aufs Meer. Die meisten anderen schliefen dann noch. Wenn die Angestellten ihre Arbeit begannen, kam ich oft schon vom Schwimmen zurück und wenn die anderen aufstanden, war ich auf dem Weg. Zu irgendeinem Ort, wo ich staunen, laufen und schreiben würde. Das konnte ein mittlerer Fußmarsch werden oder eine Bustour, oder ich setzte mich unterhalb des Apollo ins Stadion und zog mit der Sonne herum. Ich fand überall Lieblings-Schreibplätze.
Im Künstlerhaus verständigten wir uns Englisch, das trug nicht nur dazu bei, dass ich meine Sprachkenntnisse auffrischen konnte, sondern auch dazu, mir über Dinge klarzuwerden. Ich spreche nicht fließend Englisch, also musste ich überlegen, wie ich etwas formuliere: woran schreibe ich, weshalb, was geschieht, weshalb agieren die Figuren so und nicht anders. Es war eine innere Werkstatt, die mir manchmal schon durch das Übersetzen die richtigen Fragen stellte.
Im Frühsommer 2019, als für das kommende Jahr nur die Komplettrenovierung geplant war und niemand ahnte, wie lange mich die Viren vom Haus fernhalten würden, regnete es jeden Tag. Ich lernte das Schreiben in Cafés, von dem eine Bekannte schwärmt und wofür ich mich nie so recht hatte erwärmen können. Nach Griechenland passte es perfekt. Das Gemurmel der anderen Gäste konnte mich nicht ablenken, ich verstand es ja nicht. Es war wie das Wellenrauschen am Strand – nur, dass ich neben dem Tisch auch griechischen Mokka genießen konnte und eine Toilette in der Nähe wusste. Die Kellner störten mich nicht – so geduldige und gelassene habe ich woanders nie angetroffen. Ich konnte Stunden so zubringen: vor einem Mokka und dem Glas Wasser, das ich wiederholt auffüllen durfte.
Die Angestellten des Künstlerhauses arbeiteten auch am Wochenende, oft mit Schulklassen, die das untere Gebäude dann in Beschlag nahmen. Ich hatte jeweils ein Zimmer im Obergeschoss und wenn es einmal zu laut wurde, setzte ich mich auf die Treppe und arbeitete dort weiter. Ich war schließlich in Griechenland und dafür war es sehr ruhig.
Stiftung Künstlerdorf Schöppingen 2007/2008
Aus Schöppingen erhielt ich einen Anruf. Ich konnte es kaum glauben, ich hatte einen viermonatigen Aufenthalt bewilligt bekommen. Letztlich wurden es sogar fünf Monate, und obwohl es eine weite Anreise war, bleibt dieses Stipendium als das beste in Erinnerung. Das liegt vor allem daran, dass sich meine Vorlieben und Bedürfnisse zwischenzeitlich verändert hatten und ich mich dem Rhythmus einer Vollverpflegung mit Zeiten und Gerichten weniger gern unterwerfen wollte. Jedes Appartement verfügt über eine kleine Küche, Geschäfte gibt es fußläufig ausreichend, und wer mochte, konnte in der riesigen Gemeinschaftsküche mit anderen brutzeln. Es liegt aber nicht nur an der Selbstbestimmtheit, sondern an den Autorinnen, die ich während meines Aufenthaltes dort kennenlernen durfte. So unterschiedlich sie waren: von verpeilt über extrem zurückhaltend, verkopft oder dauererzählend, so liebenswürdig agierten sie. Wir führten heftige politische Diskussionen, philosophierten und sprachen stundenlang über Literatur und das Schreiben. Die Runden am Kamin, nach getaner Arbeit, versteht sich, gab es ganz sicher auch zuvor oder danach, aber unsere waren die besten.
Denkmalschmiede Höfgen 2007 und 2009
Die Denkmalschmiede Höfgen liegt im wunderschönen Muldetal. Der Raum, den ich während der ersten acht Wochen bezog, war klitzeklein und dunkel. Über mir tappte ein Lyriker permanent über die Dielen, die Fenster befanden sich in Höhe des Pflasters eines großen Innenhofes. Ich hatte mein eigenes Bad, mit einer Wanne, in der ich eines Abends – nach dem Empfang der Email aus Griechenland – planschte und prustete wie ein kleines Kind. Es würde weiter gehen, mein Glück riss nicht ab, ein Jahr später könnte ich den Frühsommer auf Rhodos erleben.
Doch zuerst war es Sommer nahe Grimma, und ich schrieb weiter. Meistens draußen, zwischen Zickzackweg und den Ufern der Mulde, unter Kastanien und Kirschbäumen. Wiederum war es ein Aufenthalt mit Vollverpflegung, um solch profane Dinge musste ich mich nicht kümmern. Zwei Jahre danach verbrachte ich noch einmal acht Wochen dort – und dieses Mal sogar in dem geräumigen Obergeschoss des zweiten Hauses, wo ich tatsächlich ein Manuskript Seite für Seite auf dem Teppichboden auslegte und – mit Stift und Schere bewaffnet – die Geschichte neu anordnete.
Leider gibt es dieses Künstlerhaus nicht mehr – als Stipendienort. Man kann dorthin fahren, einige der ehemaligen Stipendiaten tun das bis heute, weil die Inspiration garantiert ist. Für alle anderen bleibt es eine nicht gerade preiswerte Unterkunft an der Mulde.
Röderhof im Huy März-Mai 2007
Im Jahr 2007 verbrachte ich den beginnenden Frühling bis zum Frühsommer – drei Monate nämlich – im Röderhof unweit von Halberstadt.
Ein riesiges uraltes Haus, früher einmal Brauerei, das nun neben den Räumlichkeiten für den eigens gegründeten Verein zwei Behausungen für Stipendiaten bereithält. Es gab ein gemeinsames Bad, das eigentlich der Heizungsraum war, dafür nahmen die Arbeits-, Schlaf- und Kochareale innerhalb eines Zimmers soviel Platz ein wie eine Dreiraumwohnung ohne Zwischenwände. Fenster zu zwei Seiten und viele davon. Platz zum Tanzen oder um Manuskripte vollständig auf den Dielen ausbreiten zu können. Der Huy vor der Tür, Vorharz, Wege und Kloster und Gaststätten und bis Halberstadt gerade einmal fünf Kilometer. Ein Traum von einem Aufenthalt, sofern man mobil ist und die Einsamkeit genießen kann. Ich liebte sie. Es hatte eine Woche oder noch etwas länger gedauert, bis dieser riesige Raum etwas erwärmt war, ich gewöhnte mich an das geteilte Bad und ich lief. Mit einem batteriebetriebenem Vorgänger des Laptops, einem Schulheft, Diktiergerät oder zwei von einer netten Kellnerin gereichten Servietten. Ich schrieb noch viel mehr als in Wiepersdorf und dieses Mal waren es keine versprengten Miniaturen, ich wusste, es würde ein längerer Text werden.
Den Verein gibt es noch, die Kommunikation ist nicht leichter geworden. Alle arbeiten ehrenamtlich, Bewerbungen gibt es zuhauf. Ich würde dorthin auf jeden Fall noch einmal fahren wollen. Nur darf man sich nicht zweimal bewerben.
Schloss Wiepersdorf Mitte August bis Mitte Dezember 2006
Es war mein erstes Aufenthaltsstipendium, das sagt eigentlich schon alles. Wenn es keine positive Erfahrung gewesen wäre, hätte es die nachfolgenden Stipendien nicht gegeben. Weil ich mich nie mehr darum beworben hätte. Dieses Bewerbungsverfahren (bei allen Stipendien) muss man wollen. Und aushalten. Im Schnitt erhielt ich bei zehn Bewerbungen genau eins. Würde sich ein Arbeitsloser vielleicht wünschen, solch eine Quote, für mich war es manchmal sehr schwer zu ertragen. Die stundenlang geführten Recherchen zum Ort oder der Region, vorherigen Stipendiaten, neben der eigentlichen Arbeit, sich zu verkaufen, Textproben zu verkaufen und alles korrekt einzutüten, mündete dann in einen Vierzeiler, der gar nichts aussagte. Noch schlimmer ging auch – dann erfuhr ich gar nichts. Beziehungsweise bei erneuter Recherche, dass der Platz anderweitig vergeben worden war.
Wiepersdorf ist als Einstieg unschlagbar.
Vier Monate lagen damals vor mir, Sommer, Herbst und fast noch der Winter, eine endlos scheinende Zeit nicht sehr weit fort von Zuhause, recht nah am Beginn meines literarischen Schreibens und der Startpunkt für den Versuch, mich allein darauf zu konzentrieren.
Die Zimmer im ehemaligen Pferdestall (darüber wäre korrekter) sind sehr klein. Bett, Schreibtisch, Schrank und ein Bad, das wars. Internet gab es damals ebenso wenig wie ich einen Laptop besaß, also verbrachte ich unterm Dach in einem riesigen Raum sehr oft allein die Stunden an einem Computer und speicherte die neuen Texte jeweils auf eine CD. Wir waren mehr als zehn Stipendiaten aus allen möglichen Bereichen: von Bildender Kunst unterschiedlicher Facetten über Performance, Komposition bis hin zu den literarischen Gattungen: Theater, Lyrik, Krimihörspiel, Roman. Und ich. Neuling.
Das Stipendium beinhaltet auch eine Vollverpflegung. Damals genoss ich es sehr. Aufstehen, sich an den gedeckten Tisch setzen, hinausgehen und mittags zu der Qual der Wahl verschiedener Gerichte wiederkommen. Niemand, so wurde seit Jahrzehnten im Haus berichtet, würde es während des Stipendiums schaffen, sein Gewicht zu halten.
Es gab „Salonabende“, an denen wir uns im Schloss trafen, es gab gemeinsame Spaziergänge oder Runden durch den Park, ich liebte und zelebrierte das Alleinsein genauso wie die Gespräche mit anderen Künstlern. Heute heißt das interdisziplinäres Arbeiten, sich gegenseitig inspirieren. Ich schrieb sehr viel in diesen Wochen und Monaten, auf einer Bank im Park, an einem kleinen Teich, im Zimmer, es waren Versuche und letztlich fanden nicht sehr viele Sätze in spätere Texte, aber zum ersten Mal füllte ich meine Tage damit, Dinge zu notieren und es gefiel mir sehr.
Eines jedoch gab es in Wiepersdorf nicht: Arbeitsgespräche. Das hatte ich mir komplett anders vorgestellt. Aber der Hörspielautor wollte mich nicht in die Struktur seiner Texte einweihen, der Lyriker gab mir nur das zu lesen, was ohnehin veröffentlicht war, die Theaterautorin war bis über beide Ohren mit einer bevorstehenden Premiere beschäftigt und der Romanautor wollte lieber mit mir über die Weltpolitik reden, was mich natürlich ebenfalls interessierte. Die Textbesprechungen, von denen ich mir so viel versprochen hatte, fanden nicht statt. Das war schwer zu begreifen für mich, damals, während dieses ersten Aufenthaltes. Es ist aber nicht nur in Wiepersdorf so und es hängt immer davon ab, mit wem man diese Zeit erlebt. Dass es auch anders möglich ist, erfuhr ich erst ein paar Jahre später.
Dennoch war dieses erste Aufenthaltsstipendium immens wichtig für mich. Ich fühlte mich angenommen, beachtet – und wer mag das nicht.